Patricia Kopatchinskaja, Lucerne Festival Academy, Heinz Holliger – Lucerne Festival, KKL, Luzern – 20. August 2017

Sinfoniekonzert 9
Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY | Heinz Holliger | Patricia Kopatchinskaja

SO, 20.08. | 10.30 Uhr | Nr. 17315
KKL Luzern, Konzertsaal


Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY
Heinz Holliger
Dirigent
Patricia Kopatchinskaja Violine

Claude Debussy (1862–1918)
Khamma (orchestriert von Charles Koechlin)
Charles Koechlin (1867–1950)
Les Bandar-log (Scherzo des singes) op. 176

Heinz Holliger (*1939)
Violinkonzert Hommage à Louis Soutter

https://www.lucernefestival.ch/de/programm/orchester-der-lucerne-festival-academy-heinz-holliger-patricia-kopatchinskaja/417

Gestern war ich zum ersten Mal am Lucerne Festival (bisher gab es einen einzigen Besuch am Easter Festival, aber das war bloss ein Konzert, abends an einem Wochentag), so „posh“ wie befürchtet ist das gar nicht, halt einfach so, wie es an klassischen Konzerten so ist (also schon mal nur halb so übel wie in der Oper). Zum Auftakt ging es mit Heinz Holliger am Pult des Orchester der Festival Academy schon mal phantastisch los. Ein charismatischer Dirigent ist Holliger gerade nicht, aber er lässt die Musik lebendig werden – und konnte sich dabei voll auf das Orchester verlassen. Die Werke von Debussy und Koechlin waren mir bisher unvertraut, ein paar Aufnahmen Holligers mit Werken Koechlins (Hänssler, mit dem RSO Stuttgart) liegen hier aber auf dem Stapel, darunter auch „Les Bandar-log“ und Debussys „Khamma“, das ja von Koechlin orchestriert wurde – welchen Beitrag Koechlin genau leistete, scheint da nicht so klar zu sein, aber er ist wohl nicht unerheblich.

Nach der Pause folgte die Hauptattraktion. Es gab einen grossen Umbau, Harfe, Cimbalon und Vibraphon wurden nach vorn geholt und bildeten zusammen mit der Solistin Patricia Kopatchinskaja den innersten Ring des nun deutlich kleineren Orchesters, noch vor den Streichern. Ich hatte einen Platz ungefähr auf der Höhe des Dirigenten, seitlich auf der Galerie – der Klang war auch von da phantastisch und der Blick ins Orchester fasziniert mich sowieso immer. Das Violinkonzert Holligers ist ein grosser Trümmer, einem weiteren seiner lieben „beiseit“-Künstler (Scardanelli/Hölderlin, Koechlin, Walser) gewidmet, dem Violinisten und Maler Louis Soutter, der im späteren OSR spielte, von Ansermet gemäss Holliger zunächst mal ganz nach hinten plaziert und später aus dem Orchester geworfen wurde – und später eine prekäre Randexistenz führte, was ihn nicht daran hinderte, ein beeindruckendes Werk als Maler zu schaffen. Passend dazu verschwindet die Solo-Violine zum Schluss quasi im Klangstrom. Doch bis dahin ist ein weiter weg. Das Konzert bezieht sich auf die dritte Sonate für Violine Solo von Ysaÿe (bei dem der junge Soutter studiert hatte – auf der ECM-Einspielung des Konzertes mit Zehetmair gibt es diese Sonate zum Auftakt auch zu hören), führt über eine gute Dreiviertelstunde durch mehrere Etappen, die teils – wie Holliger schreibt – für seine Verhältnisse „eine äusserst bewegliche Musik“ ist, „die rhythmisch sehr komplex ist. Eine körperliche, tänzerische und motorische Musik, in der zum Teil sogar die Rhythmik meines Lehrers Sándor Veress in ganz anderer Form zum Vorschein kommt“ (Aus Holligers Liner Notes zur CD-Einspielung, ECM New Series 1890, 2004). Für mein Empfinden war diese Aufführung eine echte Sternstunde.
 

Danach ging ich nach oben ins Luzerner Kunstmuseum, das ich noch nie besucht hatte. Zu sehen ist eine Präsentation der Sammlung mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten, ganz schön präsentiert aber ohne die grossen Highlights (am ehesten noch zwei sehr schöne Bilder von Hodler), zudem eine Gegenüberstellung des Landschaftsmalers Robert Zünd (1827-1909) mit Photographien von Tobias Madörin (*1965), die in derselben Umgebung Luzerns entstanden sind. Die Gemälde fand ich insofern interessant, als sie die ländliche Schweiz darstellen auf eine Weise, wie sie mir aus meiner Kindheit in den Achtzigern noch bestens vertraut ist, als idealisiert-idyllische Heimatdarstellung, die sie bei Zünd vermutlich nicht annähernd im selben Ausmass war. Die Photographien von Madörin, analog und einem langsamen Riesenformat hergestellt, sind allerdings unglaublich faszinierend, sie wirken fast wie gemalt, man muss sehr nahe herantreten, um den Unterschied zu erkennen – und sie bieten enorm faszinierende Licht-Effekte.

In der Ausstellung gab es dann um 14 Uhr auch noch eine Performance von Strotter Inst., einem Künstler, der auch ein paar Installationen mit Plattenspielern und Kleinkram hergestellt hat, die im Entrée des Museums zu sehen sind. Diese zwei von vier „Delokationen“ bezog sich auf Koechlins zuvor im Konzertsaal gespieltes „Les Bandar-log“. Aus Versatzstücken erzeugte Strotter Inst. (Inst.rument/Inst.allation – zum Begriff „Strotter“ findet sich auf seiner Website alles Wissenswerte) eine Klangkulisse, in die Beats und alle diese Geräusche Eingang fanden, die experimentelle DJs so erzeugen können, und zu deren Beschreibung mir das Vokabular völlig abgeht. Jedenfalls war das eine ziemlich tolle, ca. 20 Minuten dauernde Intervention.

Danach ging es runter in die Cafeteria neben dem KKL für einen kleinen Imbiss. Als ich mein Tablett nach draussen trug, kam ich an Heinz Holliger vorbei, was mir die Gelegenheit gab, mich kurz für das phantastische Konzert zu bedanken. Und als ich danach weiterzog, kam auch gerade Patricia Kopatchinskaja, um mit den anderen zum Bahnhof rüberzugehen – das sind eben richtige Stars, ganz normale Leute halt, die grossartige Musik machen. Auch ihr konnte ich noch einen kurzen Dank aussprechen, bevor ich durch die Touristenhorden loszog, um einen Blick in die mir zuvor unbekannte Jesuitenkirche zu werfen, die doch ziemlich interessant ist. Zu Fuss ging es dann durch die durchaus malerische Innenstadt und auf der anderen Seite raus und weiter zum MaiHof, einem Areal mit Kirche, separatem Turm und ein paar weiteren Gebäuden. Der Kirchensaal wird auch für Konzerte benutzt, auch im Rahmen des Lucerne Festival.

Teil 2 des Berichtes vom Lucerne Festival am 20. August

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