Tonhalle-Orchester Zürich
Bernard Haitink Leitung
Sir András Schiff Klavier
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 9 d-Moll
Gestern also meine Entbrucknerung – einen besseren als Haitink hätte
ich mir dafür wohl nicht wünschen können. Wahnsinn! Aber von Anfang an:
mit Schiff bin ich bisher nicht weit, die Doppel-CD mit den
Diabelli-Variationen und den anderen letzten Klavierwerken Beethovens
liegt ja schon hier und gefällt, gerade erst diese Woche kam auch die
neue Box, die seinen Beethoven Sonatenzyklus vereint (zum grössten Teil
2004-206 in der Tonhalle eingespielt, die Zugaben von diesen Konzerten
findet man auf einer separaten CD ebenfalls, die drei letzten Sonaten
wurden in Österreich eingespielt, davon ist keine Zugabe zu finden,
Schiff windet dem Publikum in Zürich ein Kränzchen und meint eben auch,
dass die Zugaben quasi in Zusammenarbeit mit dem Publikum entstünden,
aber vielleicht war auch einfach kein Platz für die österreichischen
Zugaben, wer weiss). Aus der Box hörte ich dann am Donnerstagabend die
erste CD (bzw. das erste Volumen, auf zwei CDs verteilt die Sonaten 1-4)
und war ziemlich angetan davon. Im Konzert (gestern war die dritte und
letzte Aufführung des Programmes, das am Mittwoch erstmals erklang)
spielte Schiff einen in der Höhe etwas schrillen Bösendorfer, der in der
Tiefe etwas dumpf klang. Im Kopfsatz führte das zu einem etwas
gewöhnungsbedürftigen Klang, doch setzte sich am Ende alles aufs
Schönste zusammen. Schiffs Umgang mit dem Klavierpart war ziemlich frei,
in den Ecksätzen fächerte er Läufe und Akkorde immer wieder auf, liess
die Töne in kleinsten Versetzungen nebeneinander statt miteinander
erklingen. Den langsamen Mittelsatz spielte er – das wohl wenn man so
will die Kempff-Linie – in einer Weise, dass er fast wie eine
Improvisation klang. Eine Improvisation von einer beiläufigen und völlig
lockeren Brillanz. Im dritten Satz fügte sich für mich dann alles
zusammen und das zuvor teils Überraschende oder auch etwas
Unverständlich klingende ergab plötzlich Sinn.
Dann war erstmal Pause, das Orchester musste sich ja noch rasch
nahezu verdoppeln, ein grösserer Bühnenumbau war angesagt. Bruckners
Musik brachte die Akustik des Tonhalle-Saals an ihre Grenzen, aber
Haitink gelang es, den Klang auszureizen ohne den Saal zu fluten (was
neulich bei den Wagner-Stücklein unter Runnicles nicht so gut klappte).
Seine Meisterschaft liegt wohl darin, stets die Kontrolle zu haben, die
Musik zwar atmen aber nie ausufern zu lassen. Sein Dirigat beeindruckte
mich (nach dem Brahms-Requiem vor etwa einem Jahr) erneut sehr – die
Rechte gibt mehr oder weniger den Takt, manchmal mit etwas weiteren
Gesten, die Linke wird manchmal gar nicht gebraucht, dann gibt sie mit
ganz kleinen Gesten Anweisungen, die aber mit einer Präzision und
Wirksamkeit umgesetzt werden, dass man fast schon an Zauberei denken
muss. Mich blies die Musik der ersten zwei Sätze nahezu weg, da brach
soviel auf mich herein, dass ich kaum noch wusste, wo oben und unten
ist. Darauf war ich ja gefasst, aber das Konzerterlebnis ist halt schon
unersetzbar in der direkten Intensität und auch darin, die Materialität
der Musik zu erfassen – das Knarzen der Bässe, das Surren der Saiten im
Moment bevor der Bogen wieder angesetzt wird … und natürlich ist auch
die räumliche Wahrnehmung der Musik eine völlig andere als daheim. Ich
wartete dann immer gespannter auf den dritten Satz, das gigantische
Adagio. Und wie davor bei Beethoven setzte sich nun alles zusammen, ich
hatte das Gefühl, zu verstehen (ohne dass ich irgendwas davon in Worte
fassen könnte).
Ich wollte daheim dann an sich gleich die ganzen Bruckner-Symphonien
am Stück durchhören, am besten sofort und ohne diese mühsamen und
störenden Schlafpausen, die ja kein Tier ausser dem Menschen braucht.
Aber ich griff stattdessen dann doch zu vertrautem …
PS: Sehr interessant natürlich der Kontrast zu Gardiner/Bezuidenhout –
ich kann nicht sagen, dass mir das eine Zugriff besser gefällt, ich lasse sehr
gerne beide nebeneinander als ebenso gültige Herangehensweisen stehen
(Schiff schreibt im Vorwort zur Box mit dem Sonaten-Zyklus, dass er zur
Hälfte einen Steinway, zur Hälfte einen Bösendorfer gespielt habe, dass
er am liebsten – um der Vielfalt an Klangfarben halbwegs gerecht zu
werden – den ganzen Zyklus noch einmal an einem historischen Instrument
einspielen würde … immer munter los damit, bitte!)
Und hier noch der NZZ-Bericht, gestern schon in der Zeitung, also wohl über den ersten Abend am Mittwoch:
http://www.nzz.ch/feuilleton/musik/bernard-haitink-und-andras-schiff-in-zuerich-balance-auf-der-baustelle-ld.133766
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