András Schiff, Tonhalle-Orchester Zürich, Bernard Haitink: Beethoven, Bruckner - Tonhalle, Zürich, 9. Dezember 2016

Tonhalle-Orchester Zürich
Bernard Haitink Leitung
Sir András Schiff Klavier

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 9 d-Moll

Gestern also meine Entbrucknerung – einen besseren als Haitink hätte ich mir dafür wohl nicht wünschen können. Wahnsinn! Aber von Anfang an: mit Schiff bin ich bisher nicht weit, die Doppel-CD mit den Diabelli-Variationen und den anderen letzten Klavierwerken Beethovens liegt ja schon hier und gefällt, gerade erst diese Woche kam auch die neue Box, die seinen Beethoven Sonatenzyklus vereint (zum grössten Teil 2004-206 in der Tonhalle eingespielt, die Zugaben von diesen Konzerten findet man auf einer separaten CD ebenfalls, die drei letzten Sonaten wurden in Österreich eingespielt, davon ist keine Zugabe zu finden, Schiff windet dem Publikum in Zürich ein Kränzchen und meint eben auch, dass die Zugaben quasi in Zusammenarbeit mit dem Publikum entstünden, aber vielleicht war auch einfach kein Platz für die österreichischen Zugaben, wer weiss). Aus der Box hörte ich dann am Donnerstagabend die erste CD (bzw. das erste Volumen, auf zwei CDs verteilt die Sonaten 1-4) und war ziemlich angetan davon. Im Konzert (gestern war die dritte und letzte Aufführung des Programmes, das am Mittwoch erstmals erklang) spielte Schiff einen in der Höhe etwas schrillen Bösendorfer, der in der Tiefe etwas dumpf klang. Im Kopfsatz führte das zu einem etwas gewöhnungsbedürftigen Klang, doch setzte sich am Ende alles aufs Schönste zusammen. Schiffs Umgang mit dem Klavierpart war ziemlich frei, in den Ecksätzen fächerte er Läufe und Akkorde immer wieder auf, liess die Töne in kleinsten Versetzungen nebeneinander statt miteinander erklingen. Den langsamen Mittelsatz spielte er – das wohl wenn man so will die Kempff-Linie – in einer Weise, dass er fast wie eine Improvisation klang. Eine Improvisation von einer beiläufigen und völlig lockeren Brillanz. Im dritten Satz fügte sich für mich dann alles zusammen und das zuvor teils Überraschende oder auch etwas Unverständlich klingende ergab plötzlich Sinn.

Dann war erstmal Pause, das Orchester musste sich ja noch rasch nahezu verdoppeln, ein grösserer Bühnenumbau war angesagt. Bruckners Musik brachte die Akustik des Tonhalle-Saals an ihre Grenzen, aber Haitink gelang es, den Klang auszureizen ohne den Saal zu fluten (was neulich bei den Wagner-Stücklein unter Runnicles nicht so gut klappte). Seine Meisterschaft liegt wohl darin, stets die Kontrolle zu haben, die Musik zwar atmen aber nie ausufern zu lassen. Sein Dirigat beeindruckte mich (nach dem Brahms-Requiem vor etwa einem Jahr) erneut sehr – die Rechte gibt mehr oder weniger den Takt, manchmal mit etwas weiteren Gesten, die Linke wird manchmal gar nicht gebraucht, dann gibt sie mit ganz kleinen Gesten Anweisungen, die aber mit einer Präzision und Wirksamkeit umgesetzt werden, dass man fast schon an Zauberei denken muss. Mich blies die Musik der ersten zwei Sätze nahezu weg, da brach soviel auf mich herein, dass ich kaum noch wusste, wo oben und unten ist. Darauf war ich ja gefasst, aber das Konzerterlebnis ist halt schon unersetzbar in der direkten Intensität und auch darin, die Materialität der Musik zu erfassen – das Knarzen der Bässe, das Surren der Saiten im Moment bevor der Bogen wieder angesetzt wird … und natürlich ist auch die räumliche Wahrnehmung der Musik eine völlig andere als daheim. Ich wartete dann immer gespannter auf den dritten Satz, das gigantische Adagio. Und wie davor bei Beethoven setzte sich nun alles zusammen, ich hatte das Gefühl, zu verstehen (ohne dass ich irgendwas davon in Worte fassen könnte).

Ich wollte daheim dann an sich gleich die ganzen Bruckner-Symphonien am Stück durchhören, am besten sofort und ohne diese mühsamen und störenden Schlafpausen, die ja kein Tier ausser dem Menschen braucht. Aber ich griff stattdessen dann doch zu vertrautem …

PS: Sehr interessant natürlich der Kontrast zu Gardiner/Bezuidenhout – ich kann nicht sagen, dass mir das eine Zugriff besser gefällt, ich lasse sehr gerne beide nebeneinander als ebenso gültige Herangehensweisen stehen (Schiff schreibt im Vorwort zur Box mit dem Sonaten-Zyklus, dass er zur Hälfte einen Steinway, zur Hälfte einen Bösendorfer gespielt habe, dass er am liebsten – um der Vielfalt an Klangfarben halbwegs gerecht zu werden – den ganzen Zyklus noch einmal an einem historischen Instrument einspielen würde … immer munter los damit, bitte!)

Und hier noch der NZZ-Bericht, gestern schon in der Zeitung, also wohl über den ersten Abend am Mittwoch:
http://www.nzz.ch/feuilleton/musik/bernard-haitink-und-andras-schiff-in-zuerich-balance-auf-der-baustelle-ld.133766

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