Urs Leimgruber/Pascal Marzan & Devin Gray/Miles Perkin/Eve Risser – WIM, Zürich, 30. Juni 2017

20:15 Werkstattkonzert 1. Set

Urs Leimgruber – Saxophon
Pascal Marzan – Gitarre


21:00 Werkstattkonzert 2. Set

Devin Gray – Schlagzeug
Eve Risser – Klavier
Miles Perkin – Bass


Gestern Abend mein letztes Jazzkonzert vor der überlangen Sommerpause – die auch dieses Jahr durch das Météo in Mulhouse etwas verkürzt wird (es scheint leider zur Tradition zu werden, dass ich den Eröffnungsabend verpasse, dieses Jahr u.a. Evan Parker/Matthew Shipp, was mich schon sehr interessieren würde; letztes Mal lag es an zuwenig Urlaub, dieses Mal immerhin wegen „L’Orfeo“ unter Gardiner in Luzern). Es gab zwei frei improvisierte Sets von wohl einer Dreiviertelstunde Dauer, beide gut gelungen, beide von Combos, die wohl noch nicht oft zusammengespielt haben (beim Trio im zweiten Set bin ich nicht sicher, ob das nicht das erste Mal überhaupt war, Devin Gray lud ein und wählte die beiden anderen aus, wie es schien).

Im ersten Set traf der Luzerner Klangalchimist Urs Leimgruber (den ich skandalöserweise tatsächlich nach wohl über einem Dutzend Jahren erst zum zweiten Mal live hörte) auf Pascal Marzan aus Paris. Die beiden steigen den Klängen nach, noch den feinsten, leisesten. Das tun sie mit Beharrlichkeit und einer guten Prise Humor. Marzan spielt eine akustische Gitarre, in die er ein kleines Mikro klebt, damit auch die ganzen Präparierungen, die er vornimmt, gehört werden können. Er schiebt Dinge zwischen Griffbrett und Saiten wie auch und unter die offenen Saiten, traktiert diese mit verschiedenen Gegenständen, wendet aber ebenso – auch in Kombination mit Präparationen – Flamenco- und klassische Spieltechniken an. Leimbgruber stopfte sein Sopransaxophon mit einem Dämpfer, der wie ein angepasster Trompetendämpfer aussah, was bei hohen Tönen einen leichten Verfremdungseffekt hat, vor allem bei vollständig geschlossenen Klappen jedoch einen speziellen Effekt bringt, den er da und dort auch quasi zum Dialog mit sich selbst, zur Antwort auf offene Linien in höheren Lagen, einsetzte. Am Tenor nahm er auch mal das Mundstück ab, blies in den Bogen, nahm auch diesen ab, hielt ihn mit kleiner Distanz vor die Lippen und spielte mit Luftströmen, die brachen und ganz leise Klänge erzeugten. Auch für das Tenoraxophon verfügt er über einen Dämpfer. Was er mit den beiden Instrumenten alles anstellt, ist jedenfalls phänomenal, dass er – durch die Om-Reunion, soweit ich weiss – auch das kraftvolle tonale Spiel wiederentdeckt hat und auch dieses einbaut, was nahtlos und völlig organisch gelingt, erweitert die Klangpalette noch zusätzlich. In Marzan (den ich davor nicht einmal dem Namen nach kannte) hat er einen kongenialen Partner gefunden, der mir nur da und dort etwas konventionell schien, insgesamt aber sehr schön zu Leimgruber passte. Hier gibt es ein interessantes Interview und diverse Hörproben von Marzan:
http://preparedguitar.blogspot.ch/2015/02/pascal-marzan-13-questions.html

Nach der Pause gab es dann ein Trio mit Eve Risser am präparierten Piano, Miles Perkin am Kontrabass und Devin Gray am Schlagzeug. Das Trio sass im ersten Set im Publikum und hörte zu, das Duo tat im zweiten Set dasselbe – um sich zu vergegenwärtigen, wie die WIM (Werkstatt für Improvisierte Musik) aussieht: im Regelfall sind da zwei bis maximal drei Stuhlreihen von etwa 8-10 Stühlen, in der Regel sind einige von ihnen leer. Tagsüber und auch an den meisten Abenden proben hier lokale Musiker, ein bis zweimal wöchentlich finden Konzerte statt, es gibt regelmässige Reihen (z.B. von Saxophonist und Bandleader Omri Ziegele und seinem Langzeitprojekt Billiger Bauer oder von Drummer Heinz Geisser, den man vielleicht von den Alben des Collective 4tet auf Leo kennt). Oft sitzen denn auch andere Musiker im Publikum und hören, was ihre Kollegen aushecken. Immer wieder sind aber auch Gäste aus der halben Welt da, wie eben auch gestern Abend, als der amerikanische Drummer Devin Gray mit der Elsässerin Eve Risser und dem Kanadier Miles Perkin (derzeit wie es scheint in Berlin domiziliert und auch an Schaubühne tätig ist und – wenig überraschend, wenn man ihn spielen sieht – auch als Tänzer arbeitet) ein Trio bildete. Präparationen gab es natürlich noch mehr, Risser hatte wohl zwei Dutzend kleinere und grössere Gegenstände im Flügel verteilt, die sie immer wieder umarrangierte, während sie die Tasten bearbeitete oder mit verschiedenen Schlägeln die Saiten im Innern des Instruments bearbeitete. Gray spielte über weite Strecken mit Besen, schnappte sich manchmal auch kleine Glöcklein, lauschte wie auch Risser und zuvor das Duo den Klängen nach, schien sich für eine Weile fast im Schlagzeug verkriechen zu wollen. Sein Spiel war (neben Marzan) die Entdeckung des Abends, erscheint es doch zugleich sehr locker und total kontrolliert, frei und doch oft auch mit einem mitreissenden Puls, um nicht von Groove zu reden. Das Trio erzeugte nicht die hochkonzentrierte, durchaus als Zumutung zu bezeichnende Dichte des ähnlich gelagerten Trios „en corps“ mit Risser, Benjamin Duboc und Edward Perraud (das neue Album ist wohl mein Album des Jahres und das erste wäre es vor ein paar Jahren auch gewesen, wenn ich es gekannt hätte), da war viel mehr Luft, auch das in der Tat tänzerische Spiel von Perkin öffnete Räume. Risser hielt sich über weite Strecken zurück, wobei mir nicht ganz klar war, ob sie darauf wartete, dass die anderen in einen allmählichen Steigerungslauf einfallen würden, jedenfalls gab es erst im letzten Drittel Passagen, in denen ihr Spiel sich verdichtete und auch mal laut wurde, inklusive ganze Unterarme auf der Tastatur, was das Arsenal im Innern des Flügels in nervöse Unruhe versetzte. Ein schönes, nicht überragendes Set.

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