Ein paar vorhin schnell geschriebenen Zeilen zu den zwei Konzerten mit Louis Moholo (sowie einem dritten, das ich nicht wirklich auf dem Schirm hatte) beim Novara Jazz
Festival. Bin gerade aus Italien zurück, wo ich in Novara zweimal
Moholo gehört habe. Danach gab ich mir noch die volle touristische
Dröhnung: vier Tage in Florenz … gegessen wie ein Gott (in Novara das
eine Mal, als ich dazukam, auch) und massenhaft Kunst gesehen, war mal
wieder nötig, war seit fast 20 Jahren nicht mehr dort. Die Konzerte
waren sehr gut, auch wenn das Umfeld mitten in Novara mit rein- und
rumlatschenden Leuten etwas nervig war (kostet keinen Eintritt) und der
Sound gelinde gesagt problematisch war – mehr noch bei der ersten Band,
einem Trio mit Fender Rhodes, Posaune und Drums – der Sound waberte da
nur so durch den „broletto“, die mittelalterliche Platzanlage, eine Art
Hof, die auf allen vier Seiten vor irgendwelchen einstigen
Amtsgebäuden/Rathäusern flankiert wird und zu beiden Seiten auf Gassen
rausgeht.
Am Abend des 1. Juni spielte Louis Moholo im Duo mit Enrico Rava,
der – nur als „Rava“ angesagt, der Mann ist ja längst eine Art
Volksheld. Er wird in ein paar Monaten 78 Jahre alt und spielte das
Flügelhorn mit einer beeindruckenden Leichtigkeit. Wie Kenny Wheeler hat
er vielleicht eine Entwicklung hin zum Mainstream durchgemacht, oder
auch nicht – denn auch er passt in alle möglichen Settings. Moholo
spielte seine typischen zickigen Grooves, die immer wieder an
marschmusikartige Rhythmen erinnern, während Rava frei darüber
hinwegflog, sehr melodisch und mit wunderbarem Ton. Es gab Don
Cherry-Momente, Ornette-Momente, in der zweiten Hälfte auch einen
Standard, an dessen Titel ich mich aber schon nicht mehr erinnere. Nach
einer halben Stunde stand Moholo auf, kam nach vorn zu Rava, die beiden
verneigten sich und gingen ab der Bühne … dann sagte wohl jemand zu
Louis, er solle gefälligst nochmal etwas spielen. Es folgte dann nicht
etwa Zugabe sondern gleich nochmal 20 oder 25 Minuten, ein zweites Set
eigentlich, und danach noch eine Zugabe, nachdem der dafür Zuständige
schon wieder den üblichen Muzak-Sound eingeschaltet hatte, der sonst
lief. Alexander Hawkins meinte später im Gespräch, Moholo hätte wirklich
überhaupt kein Zeitgefühl … und kümmert er sich – er ist nur etwa
halbes Jahr jünger als Rava – um seine Medikation vor dem Konzert
(heisst er raucht irgendwas … und Red Bull braucht er obendrein auch
noch). Rava und Moholo reichen weit zurück, sie waren auf der irren Tour
nach Argentinien mit Steve Lacy – und Johnny Dyani als viertem Mann.
Hawkins erzählte ein paar Stories, die er dazu aufgeschnappt hatte, dass
man in Argentinien damals noch kaum Schwarze gesehen hätten und Dyani
und Moholo sich einen Spass daraus gemacht hätten, die Leute zu
erschrecken … nachhören kann man das auf der ESP-Disk‘-Scheibe The Forest and the Zoo
von Steve Lacy. Das Konzert war also ziemlich speziell, doch leider
fiel es mir wegen der Bedingungen etwas schwer, mich richtig zu
konzentrieren (ich war auch völlig hinüber, die Geschichte dazu habe ich
ja bereits im BFT-Thread angetönt, die Flucht – war ja nicht als solche
geplant – nach Italien tat unglaublich gut).
Am zweiten Abend gab es zum Auftakt eine sehr schöne Überraschung – im Innenhof des Domes spielte ein Trio: Thomas Stronen (d, elec), Marco Colonna (clars, as), Alessandro Giachero
(rhodes, synth, samples) – das war ziemlich magisch, auch dank der
tollen Location (danach hatte ich ca. 20 Mückenstiche … hätte ich mir ja
denken können, wenn man in der Po-Ebene hockt und es 30 Grad warm ist,
aber bis ich auf die Idee kam, was zu kaufen, war es auch egal). Die
ersten paar Minuten hatte ich verpasst (da ich beim dritten Besuch
endlich mal Paniscia novarese essen musste, das traditionelle
ortsübliche Risotto-Rezept – man kocht den Reis in einer Gemüsesuppe,
die schon wenigstens den ganzen Tag auf dem Herd stand, dazu kommt u.a. –
ebenfalls typische – Salami rein … beim vierten Besuch möchte ich dann
gerne endlich mal das Baptisterium sehen, das leider nicht öffentlich
zugänglich zu sein scheint, aber es ist dort, ich habe es auch diesmal
wieder gesehen). Aber gut, Stronen, Colonna und Giachero spielten ein
grossartiges freies Set, das sich zwischen ganz leisen Passagen und
Tänzen (ich musste an die Bergamasca denken, wie ich sie von Trovesi
kenne), zwischen Zirpen und Grooves, zwischen flächigen Samples, durch
mundstücklose Klarinetten geblasene Luft und feinsten Rhythmen bewegte.
Den dreien gelangen immer wieder faszinierende Bögen und sie waren auch
selbst sichtlich erfreut über das Ergebnis.
Danach ging es wieder rüber in den „broletto“, wo Louis Moholo mit einer Gruppe auftrat, die es so noch nicht gab, im Programm nannte man sie das Magmatic Quartet.
Neben dem Meister am Schlagzeug (er trug den Juve-Schal nicht mehr, den
ihm Riccardo Bergerone am Vorabend schenkte – war das prophetisch?)
standen zwei Flügel auf der Bühne, am rechten nahm Alexander Hawkins Platz, hinter dem linken sass Giovanni Guidi, in der Mitte war ein Mikro für den Posaunisten Gianluca Petrella
aufgestellt. Ich hatte schon am Vortag mit Hawkins geredet (der am 31.
Mai schon einen Auftritt in Locarno im Tessin hatte, der auch von Novara
Jazz organisiert wurde, er spielte dort im Duo mit dem Trompeter
Gabriele Mittelli, das konnte ich leider nicht auch noch einrichten).
Hawkins meinte, er hätte keine Ahnung, wie das rauskommen würde. Die
Klaviere waren leider schrecklich, kein „bottom“, zudem war auch wieder
alles sehr laut verstärkt, aber alles in allem halbwegs okay vom Sound
her. Riccardo (der ja immer da ist, wenn Moholo spielt, er tauchte auch
für den einen Abend beim Intakt in London-Festival auf, ein echter
Groupie) meinte am Vortag, Alex solle den anderen doch ein paar der
einfacheren Moholo/Blue Notes/Brotherhood-Klassiker beibringen, aber von
einem kurzen Soundcheck abgesehen (bei dem Hawkins was von Chopin aus
dem Gedächtnis zu spielen versuchte und Guidi ihm dann noch ein wenig
half) gab es natürlich keine Probe und das Quartett ging gänzlich
unvorbereitet auf die Bühne. Das war aber die beste Idee, denn das
Konzert gelang. Hawkins kitzelte aus Moholo all das heraus, was Irène
Schweizer neulich in London nicht schaffte (und wozu Moholo auch bei
Rava keine Lust hatte, aber das war in dem Duo einfach egal, denn Rava
nahm, was da war und es passte bestens). Hawkins spielte immer wieder
massige Grooves und lockte Moholo so richtig aus der Reserve. Guidi ging
daneben ab und zu etwas unter, weil Hawkins halt wirklich auf den
Flügel hämmerte, wobei auch schon mal die Ellbogen zum Einsatz kamen –
was aber in zweierlei Hinsicht angebracht war: eben weil es das ist,
womit man Moholo aktivieren kann, und auch weil es den lausigen Klang
des Instruments etwas vergessen machte … Guidi hat einen viel feineren
Anschlag, spielt überhaupt feiner und weniger voluminös. Das Konzept war
dann eben, dass Hawkins Moholo die Bälle zuspielte, während Guidi das
alles frei kommentierte und Petrella je nach Lust und Laune dazustiess
oder auch darüber abhob … am Ende ein sehr tolles Set, gar keine Frage!
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