Malcolm Braff (piano, fender rhodes), Reggie Washington (electric bass), Lukas König (drums)
Phänomenaler Auftakt ins Konzertjahr, nach Händels „Alcina“ am Mittwoch gab es heute den ersten Jazz-Abend im Moods. Ich hatte keine Ahnung, was mich bei dem Trio erwarten würde, zur Vorgeschichte ist zu sagen, dass ich Braff erstmals im November 2006 live (und überhaupt) hörte, damals mit dem Trio Braff-Oester-Rohrer (Bänz Oester-b, Samuel Rohrer-d) – und das gehört zu den beglückendsten Konzerterlebnissen aller Zeiten. Die späteren Braff-Konzerte, ein weiteres mit Braff-Oester-Rohrer und ein Festivalset mit dem elektrischen Trio mit Patrice Moret und Marc Erbetta (Braff am Rhodes) reichten daran bei aller Güte niemals heran. Doch heute war Braff wieder so grossartig wie damals vor gut zehn Jahren – und ich wankte völlig geflasht hinaus in die Nacht, wo ganz fein der Schnee rieselte. Das Trio spielte zwei lange Sets. Links auf der Bühne ein kleiner Flügel und im rechten Winkel gegen das Publikum (direkt vor meiner Nase) das Rhodes, in der Mitte Washington auf einem Barhocker, rechts König, vis-à-vis von Braff plaziert und mit Blickkontakt zu diesem. Los ging es mit brachialem Funk am Rhodes und harten Ostinati am – mit Wasserflasche und Schweisstuch präparierten – Flügel, Washington spielte tief und karg, König (er stammt aus Österreich, ich habe von ihm bisher noch nie gehört – sehe auch erst gerade, dass es ein Enja-Album mit Braff, Washington und König von 2011 gibt) trommelte harte Beats, direkt in your face aber immer mit kleinen Verschiebungen, verschleppten Zwischenschlägen, aufgefächerten Attacken … Braff hämmerte auf den Instrumenten herum, Melodien ergaben sich zunächst nur, wenn man seine Riffs in der Wiederholung wirken liess. Wie das Trio zusammen in den Groove fand, war grossartig. Braff begann dann am Flügel Melodiefetzen einzustreuen, Fragmente, die immer grösser wurden, brach schliesslich in sangliche Linien aus, nur um plötzlich mit der Rechten wieder zum Fender Rhodes zu greifen und mit harten Einwürfen zu stören, ohne den Flow zu unterbrechen. Pro Set gab es wohl vier lange Tracks, die oft ganz karg begannen (bei einem Stück spielte Washington minutenlang nur auf der offenen tiefsten Saite des Basses) und sich unmerklich steigerten – der „Necks-Effekt“, bei dem man sich fragt: verdammt, was ist jetzt passiert, wie sind sie plötzlich hierhin gekommen … man kriegt das nicht mit, obwohl man wie auf Nadeln sitzt und jeden Move ganz genau beobachtet. Washington spielte meist einen gefühlten, nicht gehörten Bass. Wieviel er zum Klanggebräu beitrug merkte man erst, wenn er mal wieder kurz pausierte und die Musik ohne Boden, mit abgesägten Hosenbeinen, dastand.
Was Braffs Musik genau ist, weiss ich eigentlich nicht – jedenfalls kenne ich nichts Vergleichbares. Wie er aus kleinsten Motiven oder repetitiven Riffs in grosse melodische Bögen ausbricht, die hart am Kitsch vorbeischrammen – natürlich hämmert König dagegen an und Washington (the epitome of cool) sorgt für gegenläufige, zickig wummernde Rhythmen im Fundament. Braff ist zugleich Schlagzeuger und Melomane, Tüftler und Epiker, Derwisch und ruhender Pol in einem. Aus den Melodien findet er in einen Montuno-Groove, spielt groovende Riffs wie man sie am ehesten vom Dollar Brand der Siebziger kennt, oder einen Calypso, er verdichtet Akkorde zu Clustern, man denkt da mal rasch an McCoy Tyner, hört dort einen Fetzen Afro-Beat, einen Beat à la Dibangos Makossa, Dissonanzen wie man sie von Monk kennt, westafrikanische Musik der Siebziger und immer wieder Afro-Kubanisches (Braff wurde 1970 in Rio geboren, wuchs aber auf den Kapverden und im Senegal auf, bis er mit 13 in die Schweiz kam). Am Fender Rhodes erinnert sein Spiel stark an die Sounds, die man von Miles Davis‘ Bands der Siebziger kennt – er attackiert das Instrument mit viel Kraft, benutzt es zwar gegen Ende des Konzertes auch mal, um ein melodisches Solo zu spielen, doch bis dahin dient es vor allem dazu, die Hitze zu erhöhen, Kürzel und Riffs zu spielen, zu hämmern … irgendwann reisst er auch den Deckel weg, um auch im Rhodes mit der einen Hand das Innenleben zu beeinflussen (ich konnte leider von unten nichts sehen und habe keine Ahnung, wie es in einem Rhodes drinnen aussieht). Als das zweite Set nach knapp zweieinhalb Stunden langsam enden sollte, meinte Braff, sie hätten keine Stücke mehr und würden jetzt eins seiner ganz alten spielen, das immer Spass mache – mir schien, Washington hatte es noch nie gehört, die ersten paar Takte hörte er nur zu, dann stieg er behutsam ein, fand sich aber in der catchy Nummer bald zurecht und glänzte dann auch noch mit einem seltenen kurzen Solo. Dieses Trio spielt an sich eh keine Solos sondern baut gemeinsam etwas auf, in eng verzahntem Zusammenspiel und mit viel Freiraum für alle drei. Doch es ist schon Braff, der die Hauptrolle spielt und die anderen beiden hatten sichtlich grosses Vergnügen dabei, mit ihm zu spielen. Eine Zugabe folgte unerwarteterweise auch noch – noch ein eingängiges Stück mit Changes, die Washington wohl sofort durchschaut hatte … und das war keine Wegwerf-Nummer sondern noch ein weiteres ekstatisches Aufbäumen. So sollte Musik eigentlich immer sein – düster, gewaltig, voller offener Fragen und Zweifel, und doch drängend, mitreissend, laut und zart, zerbrechlich und hart.
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