Taktlos.16: Matthew Shipp Solo, The Tiptons Sax Quartet & Drums, Vallon-Michel-Götte-Chansorn - Rote Fabrik, Zürich, 19. Mai 2016

Taktlos.16 (33. Ausgabe)
Aktionshalle, Rote Fabrik, Zürich

"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche."

Matthew Shipp - "I've Been to Many Places" | Den Auftakt des diesjährigen Taktlos-Festivals machte Matthew Shipp, allein am Flügel. Ein etwas schwieriges, nachdenkliches, manchmal brütendes Set, das aber in seiner ganzen Länge letztendlich doch fesselnd war und die tiefe Verwurzelung des Pianisten in der Jazzgeschichte - von Ellington über Tristano zu Cecil Taylor - verdeutlichte. Der Freund, mit dem ich an beiden Abenden da war, meinte, er sei immer wieder rausgefallen und hätte sich wieder um Anschluss an die Musik bemühen müssen. Kann ich nachvollziehen, aber mich fesselte das Set doch über die ganze Länge, ohne mich allerdings umzuhauen. Also eine leise Enttäuschung, aber zugleich auch Futter für die durchaus vorhandene Faszination für Shipps Musik - und Ansporn, dranzubleiben.

The Tiptons Sax Quartet & Drums | Es folgte der Tiefpunkt, leider. Ein US-Saxophonquartett mit Schlagzeuger, bestehend aus: Amy Denio an Alt und Klarinette, Jessica Lurie an Alt, Tenor und Sopran, Sue Orfield am Tenor und Tina Richardson am Bari sowie Drummer Robert Kainar aus Österreich. Dieser war zwar sehr gut, aber für mein Empfinden zu sehr damit beschäftigt, zu begleiten, wo er doch den Damen durchaus mal eine vor die Fresse hätte knallen sollen, denn die waren mit so viel Mediokrität unterwegs, dass es einigermassen weh tat. Vor allem Orfield mit ihren plumpen Soli voller machistischer Tenorsax-Klischees (und auch noch in entsprechender Pose vorgetragen) hat mich nur genervt (und klar, das mag Persiflage sein, aber über eine ganze Stunde war es - gepaart mit dem überaus mittelmässigen Spiel - nichts als eine Qual). Sehr gut fand ich einzig Jessica Lurie, die am Alt wie am Tenor völlig überzeugend war. Amy Denio war ebenfalls toll, auch mit einer irren Klezmer-Einlage an der Klarinette (bei der Lurie am Alt auf dem Fuss folgte). Die vier zusammen klangen gut, spielten aber relativ wenig Ausgereiftes, oft wurde gesungen (mit und ohne Worte, aber man verstand nicht grad viel) oder mit Stimmgeräuschen gearbeitet, Kainar durfte auch mal ans Cajón wechseln und hatte offensichtlich Spass. Doch genau das, dass die fünf Spass hatten, war vielleicht das Problem, aber nach anscheinend 20 Jahren der Zusammenarbeit ist es vermutlich schwierig, aus den eingefahrenen Bahnen zu entkommen. Na ja. Ich habe dann einfach auf das nächste Solo von Lurie gewartet, das immer wieder kam und jedes Mal gut war.

Vallon-Michel-Götte-Chansorn | Mit einer Hommage an den electric Miles schloss der erste Abend, mit Colin Vallon am Fender Rhodes, Matthieu Michel an Trompete und Flügelhorn mit unendlichem Delay, Götte am E-Bass und Chansorn am Schlagzeug. Es gab hingeknallte, brachiale und sparsame Beats, harte Bass-Riffs, darüber sphärische Klänge von Flügelhorn und Keys, das ganze wuchs zu einem ziemlich tollen Gruppensound zusammen - was sehr toll war (aber da ich Michel sehr lange nicht mehr gehört hatte auch ein wenig schade, denn ich hätte gerne etwas mehr von ihm gehört). Drummer Domi Chansorn hat mich anfangs etwas irritiert, seine Beats hatten etwa die Raffinesse der Beats der übelsten Euro-Dance-Kommerzkacke aus den Neunzigern, aber mit der Zeit fing mir der Mix zu gefallen an, es gab ja gewiss einen (oder mehrere) Gründe, warum er am Schlagzeug sass und warum er so spielte (ich kenne ihn nicht, weiss nicht, ob er stilistisch auch anderes macht). Jedenfalls entwickelte die Musik des Quartetts einen düsteren Sog, in dem aber auch das Lyrische und das Verspielte keinesfalls zu kurz kam. (Weil ich eh hundemüde war und der Abend kalt und das Taxi teuer sind wir nach einer knappen Stunde raus, so lange noch ein Bus fuhr ... die ewigen Verspätungen sind etwas nervig, gerade wenn man zum Lohnsklaventeil der Bevölkerung gehört - aber bon, selber schuld).

Meine Notizen zum zweiten Abend

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