tag:blogger.com,1999:blog-80627001267532209642024-03-14T07:18:45.319+01:00ubu's notizenKonzertberichte aus Zürich und von anderswoubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.comBlogger136125tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-12592699040551617812023-07-17T12:54:00.007+02:002023-07-17T12:54:44.040+02:00Rouben Mamoulian (1897–1987) (Il Cinema Ritrovato 2023 - Nachtrag)<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgotUUwBa_i6vL_8vAeLk4i6GPjX4v5VxgIaNC07Jlfykppiez9A4VlBq6OG3gaXDCvtetD7uP2_tMms1hE6cUsIV4SxJDWEubgcWMhjR7tHo6PmI0DJfDXOiMbDPVAaKgkdG_vOVGqGYF02c-opXRccwE34p-sFNWshY427mWT82xT-WRYrKDoZcD8HI0" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="" data-original-height="1180" data-original-width="1592" height="474" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgotUUwBa_i6vL_8vAeLk4i6GPjX4v5VxgIaNC07Jlfykppiez9A4VlBq6OG3gaXDCvtetD7uP2_tMms1hE6cUsIV4SxJDWEubgcWMhjR7tHo6PmI0DJfDXOiMbDPVAaKgkdG_vOVGqGYF02c-opXRccwE34p-sFNWshY427mWT82xT-WRYrKDoZcD8HI0=w640-h474" width="640" /></a></div><br /> Mamoulian kam am 8. Oktober 1897 in Tiflis zur Welt, Sohn einer kunstliebenden armenischen Familie, studierte oder arbeitete in Moskau, Paris, London, Rochester und New York, bevor er nach Hollywood ging. Dort verantwortete er zwischen 1929 und den mittleren Dreissigern eine Reihe von Filmen voller Experimente. „There’s a sense of euphoria an hypersensitivity in his filmmaking“ schreibt Ehsan Khoshbakht im Programmbuch zum diesjährigen Il Cinema Ritrovato in Bologna (von wo auch die folgenden Zitate stammen). Danach versuchte Mamoulian, sich ins Studio-Gefüge besser einzufügen – seine frühen Filme waren nicht mehr zu sehen, als der <i>production code</i> etabliert war: „too many sexual innuendos and lacy negligees“.<p></p><p>Mamoulian kostete die technischen Möglichkeiten aus, in seinen Worten: „[the] only worthwhile innovation is the one coming from artistic necessity“ – über sein Debut „Applause“ (1929) schreibt Khoshbakht:</p><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">Though some of the techniques used in the film are not exactly new, the impeccable execution and the way match cuts, split-screen and sound collage are integrated into the narrative give the film a whole new identity. The camera, unleashed like a butterfly, traverses jerkily through ghostly scenes in which the muffled sound of the early talkies reinforces the medium’s ghostliness. An astonishing debut.</p></blockquote><p>In manchen Filmen arbeitet Mamoulian wie ein Maler. „Blood and Sand“ von 1941 über den Aufstieg und Fall eines Toreros ist das beste Beispiel dafür. Goya, Velázquez oder El Greco hat Mamoulian studiert und setzt ihre Kunst um, inszeniert Tableaux des Begehrens, der Verführung, des Todes, mit Hilfe seiner Kameramänner Ernest Palmer und Ray Rennahan, die für ihre Technicolor-Arbeit mit dem Oscar ausgezeichnet wurden. Mamoulian erzählte später in einem Interview (Sight & Sound Nr. 3, Sommer 1961), wie er gearbeitet hatte. U.a. habe er stets eine riesige Kiste mit Schals, Taschentüchern etc. in allen möglichen Farben dabeigehabt, um damit bei den Kostümen jederzeit Farbakzente setzen zu können. Und er hatte eine ganze Batterie von Sprühpistolen, mit denen er die Sets, die Kostüme oder sogar die Darsteller*innen im Bedarfsfall ansprühte. „The art director had made me a beautiful chapel; and he was very upset when I sprayed everything with green and grey paint. Then again, there’s a banquet, which was done entirely in black and white. There were flowers on the table and (naturally) the leaves were green. I think when they saw me painting them black, they went and told Mr Zanuck I’d gone out of my mind.“</p><p>Bei anderen Filmen hat Mamoulian wie ein Musiker gearbeitet (weniger als die Hälfte seiner Filme sind Musicals), besonders eindrücklich in „Love Me Tonight“ (1932): beeindruckten die erste Szene in einem erwachenden Studio-Paris, in der sich aus Geräuschen, deren Quelle im Bild zu sehen sind (Fenster werden geöffnet, Eingänge gewischt, Nägel in Schuhe gehämmert usw.) eine sich stetig verdichtende musique concrète entsteht. Später gibt es u.a. eine Szene, in der eine Jagdgesellschaft (zu Pferd) auf Zehenspitzen davonschleicht (mit schneller gefilmten und regulär abgespielten Aufnahmen – das Gegenteil gibt es natürlich auch – , weil Maurice Chevalier, der liebenswerte Schneider und halbfreiwillige Hochstapler, den müden Hirsch in die Jagdhütte zur Siesta gebeten hat). Der Film ist – oder wirkt – komplett durchchoreographiert, auch da, wo nicht gesungen wird oder nur wenige Personen grosse Räume bespielen.</p><p>Die Rolle von Gegenständen – nicht nur den immer wieder auftauchenden Spiegeln oder den Katzen, die immer wieder als kurze Einsprengsel, als Scharniere zwischen Szenen zu sehen sind – ist ebenfalls evident. Am beeindruckendsten sicherlich die post-koitale Szene in „Queen Christina“ (1933), in der Garbo den Raum abschreitet, in dem sie – „a case of mistaken gender (she’s in drag) turns seamlessly into mistaken identity“ – , die „bachelor queen“, gerade die Liebe entdeckt hat: gleichmässig (ein Metronom half beim Dreh) schreitet Greta Garbo das Zimmer ab, ihre Hand streicht über die Gegenstände, die darin herumstehen, sie prägt sich den Raum Detail für Detail ein.</p><p>Fetische (Beine, Lingerie), Spiegel und Schatten, Statuen und Gemälde, Maskeraden und Verschleierungen … Mamoulian machte bis 1942 weiter, doch verlor sein Schaffen an Schwung. Doch auch in den schwächeren Filmen gibt es wunderbare Momente, z.B. die authentischen russisch-orthodoxen Choräle in „We Live Again“ (und die Ausstattung ist auch hier bemerkenswert). Samuel Goldwyn hatte Mamoulian in diesem Fall engagiert, um aus seiner Protégée Anna Sten einen Star zu machen – klappte nicht wirklich, Cole Porter machte in „Anything Goes“ später Scherze darüber: „When Sam Goldwyn/Can with great conviction/Instruct Anna Sten in diction/Than Anna shows/Anything goes“.</p><p>Porter schrieb die Musik zum letzten Film, den Mamoulian 1957 machte, „Silk Stockings“, eine Film-Version des gleichnamigen Musicals von 1955 und zugleich eine Neuverfilmung von Lubitschs „Ninotschka“. Fred Astaire spielt darin einen US-Produzenten, der ein Musical mit dem russischen Komponisten Peter Illyich Boroff (ein Rachmaninoff-Verschnitt?) auf die Beine stellen will. Cyd Charisse glänzt als Ninotchka Yoschenko, die den Russen und die drei auf ihn angesetzten, ebenfalls der Dekadenz anheimgefallenen Agenten (darunter Peter Lorre) heim bringen soll.</p><p>Es sollte sein letzter Film bleiben. Schon davor, 1944, wurde er bei „Laura“ von Otto Preminger ersetzt. Das wiederholte sich 1959 bei „Porgy & Bess“ (den ich echt gerne mal sehen würde – scheint ein Ding der Unmöglichkeit?), bei „Cleopatra“ (1963 – Joseph Mankiewicz übernahm, flog dann aber vor der Post-Production ebenfalls raus, die Darryl F. Zanuck verantwortete) zog er dann selber von Dannen, als alles aus dem Ruder zu laufen schien.</p><p>Rouben Mamoulian starb am 4. Dezember 1987 in Woodland Hills, Los Angeles.</p><p>—</p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEguacIb_rdhTXc5IDu05Bym2tv422qVNc8TM2oWm6DyyHsJhCPDpdc_MsL6hnltIucevUPBcIR8gGbZclETyC-SqEktFDmO1w73AbQGb1cEPmhdDrVlWEoLjR8oQWwVHRqaUl4libsv3emg1wPo4xJdzMvZr4L2k7vmaDgxtFHR_SH1VBMUgTPYsGBYgaE" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="" data-original-height="420" data-original-width="540" height="497" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEguacIb_rdhTXc5IDu05Bym2tv422qVNc8TM2oWm6DyyHsJhCPDpdc_MsL6hnltIucevUPBcIR8gGbZclETyC-SqEktFDmO1w73AbQGb1cEPmhdDrVlWEoLjR8oQWwVHRqaUl4libsv3emg1wPo4xJdzMvZr4L2k7vmaDgxtFHR_SH1VBMUgTPYsGBYgaE=w640-h497" width="640" /></a></div><br /><p></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><div style="text-align: left;">Applause (1929) ****<br />City Streets (1931) ****1/2<br />Love Me Tonight (1932) ****<br />Queen Christina (1933) ****1/2<br />We Live Again (1934) ***<br />Golden Boy (1939) ****<br />Blood and Sand (1941) ****1/2<br />Rings on Her Fingers (1942) ****<br />Silk Stockings (1957) ****</div></blockquote><p>Verpasst habe ich leider „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ (1931), „The Song of Songs“ (1933 mit Marlene Dietrich) und „The Mark of Zorro“ (1940) sowie die knapp einstündige Dokumentation „Rouben Mamoulian – Lost and Found“ (André S. Labarthe, FR/UK, 2016). Letztere beruht wie es scheint hauptsächlich auf dem ausführlichen Interview, das Hubert Knapp mit Mamoulian 1965 in Hollywood in französischer Sprache führte (gefilmt von Labarthe). Eine ungeschnittene Version davon ist derzeit bei Youtube zu finden:</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/YyUCWaBd87A" width="320" youtube-src-id="YyUCWaBd87A"></iframe></div><br /><p><br /></p>ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-30820430456106615092023-07-17T12:49:00.005+02:002023-07-18T12:42:47.499+02:00Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24 June - 2 July 2023 - XXXVII edizione (3/3)<p></p><div style="text-align: center;"> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj60yVzhMssgoPB5CT8E_9ernximsGPNTDyTRZLBlT5F0atIIBpNGbBYjTBvPDUPFguU3JE9Uo85-DYy4pI0InzT9BRbCp4N_lgsxtVwmbaN1Cb7Ps_GacS94Y4REIOI11eSFS0qMz0y0mt2sVYo3Fcnk9xsh4kVIHLxdQaXxw9SQ42q2JRED0J1B87kVY" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="" data-original-height="3024" data-original-width="4032" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj60yVzhMssgoPB5CT8E_9ernximsGPNTDyTRZLBlT5F0atIIBpNGbBYjTBvPDUPFguU3JE9Uo85-DYy4pI0InzT9BRbCp4N_lgsxtVwmbaN1Cb7Ps_GacS94Y4REIOI11eSFS0qMz0y0mt2sVYo3Fcnk9xsh4kVIHLxdQaXxw9SQ42q2JRED0J1B87kVY=w640-h480" width="640" /></a></div><br /><p></p><p>Den Einstieg ins letzte Drittel (Freitag 30.6.) machte ich dann etwas geruhsamer: die zwei Morgenslots, den ersten vom Nachmittag und dann eine lange Pause bis zur Spätvorstellung. Am Morgen ging’s in die Cinemalibero-Reihe, aus der ich doch ordentlich viel gesehen habe. Los ging es mit dem Viertelstündigen LES FEMMES PALESTINIENNES (Jocelyne Saab, FR, 1974, 16’), danach folgte der normallange LAYLA WA ZI’AB (Leila e i lupi / Leila and the Wolves) (Heiny Srour, GB/LP/FR/BE/NL/SE, 1980–1984). „Femmes“ schien mir – ähnlich wie der Film über Eldridge Cleaver – mindestens so sehr Propaganda wie Dokumentarfilm. „I have always tried to stand by and fight for what I believed in, to show and analyse a constantly changing Middle East, which fascinated me … in 1973, I made <i>Les Femmes palestiniennes</i> for the French channel Antenne 2. I wanted to show images of these Palestinian women fighters in Syria, which were very rare at the time. It was just before Sadat’s visit to Israel and the situation was very tense. While I was editing the film at Antenne 2, Paul Nahon, then head of foreign correspondence, grabbed me by the collar and pulled me out of the editing room. <i>Les Femmes palestiniennes</i> was shelved and never televised“ (so Saar 2015, aus dem Programmheft). Das erstaunt nicht weiter – und dennoch bietet der Film faszinierende Einblicke in eben die Welt der an der Waffe kämpfenden palestinensischen Frauen. Viel faszinierender, ja endlos faszinierend, fand ich dann den Film von Heiny Srour, der viel breiter die Rolle der Frau im Nahen Osten („Middle East“ in der britischen Terminologie, wo der „Near East“ den Balkan und das osmanische Reich ohne den Iran etc. bezeichnet) – „Weaving together memory, myth and archival materials, <i>Layla Wa zi’ab</i> is a significant point of intersection between the militant and anti-colonial cinema of the pioneers of the <i>Tercer Cine</i> and feminist historiography“ (Cecilia Cenciarelli im Programmheft). Ein Avantgarde-Film voller eindringlicher Bilder – in dem auch die Verachtung der Frauen durch ihr eigenes Umfeld (z.B. der Kämpferinnen im Verband mit Männern) schonungslos aufgezeigt wird. Metaphern, Rätsel, Poesie – ein Meisterwerk, das im Detail schon nicht leicht zu entschlüsseln ist, aber auch auf einer rein filmischen Ebene funktioniert und mich schwer beeindruckt hat. Der Film wurde weltweit vertrieben, aber in den meisten arabischen Ländern – erneut: wenig überraschend – zensiert.</p><p>Bevor es mit dem nächsten plättenden Film weiter ging, gab es eine Atempause mit Mamoulian: SILK STOCKINGS (Rouben Mamoulian, US, 1957) ist der letzte fertiggestellte Film, als Mamoulian längst nur noch sporadisch in Hollywood tätig war. Fred Astaire spielt darin den amerikanischen Produzenten Steve Canfield, der ein Musical mit Musik des russischen Komponisten Peter Ilyitch Boroff (Wim Sonneveld) aufführen will. Drei russische Agenten, die dafür sorgen sollten, dass dieser sich nicht darauf einlässt und in die Heimat zurückkehrt (unter ihnen Peter Lorre) sind längst der Dekadenz des (Studio-)Paris verfallen, tragen teure Anzüge, trinken Champagner, geniessen das westliche Leben. Also wird Ninotchka geschickt, um die drei an ihren Auftrag zu erinnern und alle viere in die Heimat zurückzubringen. Das ist dann natürlich die besonders bezaubernde Cyd Charisse – der Film damit einerseits eine Leinwandadaption des 1955er-Musicals wie auch ein Remake des berühmten Lubitsch-Films. Natürlich kriegen wir Mamoulians Fetische (Beine, Strümpfe, Lingerie), ein immer wieder vollkommen durchdachtes Bühnenbild, ein paar schöne Songs von Cole Porter, von denen aber nur „All of You“ – dessen Motiv instrumental schon früh im Film und auch später immer wieder auftaucht – ein echter Klassiker ist. Dazu gut choreographierte Massenszenen, etwas Zeitgeist („The Ritz Roll and Rock“) und natürlich aus heutiger Perspektive viel Kalte-Krieg-Nostalgie. Ein wunderbares Vergnügen, fand ich.</p><p>Danach das erste von zwei Meisterwerken des iranischen Regisseurs Bahram Beyzaie, von Ehsan Khoshbakht in eindringlichen Worten vorgestellt: GHARIBEH VA MEH (Bahram Beyzaie, IR, 1974). Mehr Nebel als in allen Filmen Antonionis zusammen und mehr Schlamm als bei Béla Tarr gebe es hier, so Khoshbakht. Ein mysteriöser Fremdling kommt am Ufer eines Küstendorfes an und verliebt sich in eine Frau, deren Mann ein Jahr zuvor vom Fischen nicht zurückgekehrt ist. „In this endlessly symbolic tale, ghosts of the past, narrow-minded villagers and forces beyond the control of the characters take the viewer into a dizzying labyrinth of rituals“ (Khoshbakht im Programmheft). Die ganzen Riten, Masken, Kostüme, die im Film eine so zentrale Rolle spielen, auch die „traditionelle“ Musik, all dies habe Beyzaie erfunden. Ein Film von zugleich archaischer Wucht und kafkaesker Beklemmung, ein Entgleiten in eine Traumwelt, die immer wieder bedrohliche Züge annimmt. Die Charaktere spiegeln sich gegenseitig, erzeugen sich erst richtig, bewegen sich am Übergang zu Mythen. Auch wenn der Film in einer fernen Vergangenheit spielt – und den Dörflern auch völlig uniranisches Verhalten angedichtet wird, so brüllen sie immer wieder im Chor, was als Hommage an Kurosawas Samurai-Filme zu verstehen sei – beschäftigt es sich eindeutig mit der iranischen Gegenwart, beschwört mit seiner irren und brutalen – umso brutaler wirkenden weil völlig ohne Erklärungen auskommenden – Schlussszene auch Bilder der iranischen Revolution herauf. „<i>Gharibeh va meh</i>, or at least some of its most essential images came right out of my nightmares. I realised the fear that was tormenting me in Iranian society was now growing even bigger within me. The critics‘ reading and interpretation of the film after is premiere at Tehran International Film Festival proved that my fears were right. <i>Gharibeh va meh</i> was a warning about an impending danger that peole were either oblivious to, or chose to stay ignorant of. They saw the signs of the looming threats addressed in the film but opted to attack the film and label it as ‚incomprehensible‘ and ‚anti-religious'“ (Beyzaie im Programmheft). Ganz anders die Rezeption im Westen: Beyzaie erinnert sich an einen Festivalbericht in „Sight & Sound“ oder „Films and Filming“, in dem stand, der Regisseur (der auch sein Drehbuchautor) war sei „five years ahead of his time“ – als hätte der Journalist gewusst, dass fünf Jahre später im Iran etwas geschehen würde – die rückschrittliche Revolution, zu der auch jene Kreise gehörten, die hinter dem furchtbaren Brandanschlag auf das Kino Rex im Jahr 1978 standen.</p><p>Am Nachmittag hatte ich den geplanten Besuch von „Kawanaka Jiam Kassen (Kinugasa, 1941) gestrichen, um mir eine längere Pause zu gönnen. Und am Abend war ich unschlüssig: einerseits hätte es auf der Piazza den zweiten Film mit dem Orchester des Stadttheaters unter Timothy Brock gegeben, Lubitschs „Lady Windermere’s Fan“ (1925), der dann allerdings wegen des unsicheren Theaters in den Konzertsaal, das Auditorio Manzoni, verschoben wurde (zudem gab’s eine zweite Aufführung mit Sosin am Klavier in einem der grossen Kinosäle) – doch ich entschied mich, endgültig angefixt, für QUEEN CHRISTINA (Rouben Mamoulian, US, 1933) – und kriegte die Original-Ninotschka also an dem Tag auch noch zu sehen: Greta Garbo in einer umwerfenden Rolle als burschikose „bachelor queen“, wobei der Film mit ihrer Inthronisierung als sechsjährige einsetzt und mit ihrer Abdankung und dem folgenden Gang ins Exil endet. Bei einer ihrer vorübergehenden Fluchten vom gestrengen Hof (der sie zu einer Heirat ihres Cousins Karl Gustav zu nötigen suchte) trifft sie zufällig auf den Gesandten des spanischen Hofes – die Königin als adliger Jüngling verkleidet. Doch man muss sich das Gemach teilen, aus dem falschen Geschlecht wird eine falsche Identität, die beiden verlieben sich, verbringen – eingeschneit – ein paar glückliche Tage in diesem Zimmer. Da gibt es dann auch die phänomenale Szene, in der Garbo – anscheinend durch ein Metronom angeleitet – nach Vollzug des Geschlechtsakts den Raum abschreitet, mit ihrer Hand über all die Gegenstände fährt. Was sie denn mache, fragt der Spanier (John Gilbert im vierten und letzten gemeinsamen Film). Sie präge sich diesen Ort Stück für Stück ein, um sich später an das erlebte Glück erinnern zu können. Die Königin eine Gefangene, die lieber Privates Glück erleben würde, doch die Rolle verhindert das. Die ambigue Sexualität der Garbo macht sich in diesem Film schon früh bemerkbar, in der Szene nämlich, als sie ihre liebste Hofdame auf den Mund küsst. Im Gegensatz zu ihren anderen Regisseuren der Zeit „beschenkt“ Mamoulian Garbo nicht mit ständigen Close-Ups auf ihr Gesicht. Es gibt nur drei davon, ein zweifelndes, ein fürchtendes – und am Schluss eine grossartige Szene, „one of the most profoundly moving in 1930s cinema. ‚I want your face to be a blank sheet of paper,‘ Mamoulian told Garbo. He asked her to be no more than a beautiful mask and all of a sudden, Garbo’s paraffin tears instigate real tears. In the final close-up, her face becomes a poem“ (Khoshbakht im Programmheft).</p><p>Für den Samstag (1. Juli) hatte ich fünf Plätze gebucht – und dennoch eine lange Pause drin. Um 9 Uhr ging es los mit SMOG (Franco Rossi, IT, 1962), einem sehr stylishen Film, der ersten vollständig in den USA (Los Angeles) gefilmten italienischen Produktion. Ein etwas unangenehmer Anwalt aus Rom muss einen Tag auf seinen Anschlussflug nach Mexico warten – und darf aufgrund eines Arrangements seiner Fluggesellschaft den futuristisch ins Bild gesetzten Flughafen (LAX) verlassen. Er geht zu Fuss durch den riesigen Parkplatz aka L.A., läuft den endlosen Highways entlang, entdeckt irgendwann eine Kunstgalerie, in der ein Landsmann ausstellt, kommt mit einem Helfer in der Galerie ins Gespräch, der ihn mitnimmt. So beginnt die Odyssee des Anwalts durch die Kreise der Italo-Amerikaner in L.A. (einer der Drehbuchautoren war selbst in solcher, der Film enthält Begegnungen und Ereignisse, die aus dem Erlebten der Drehbuchautoren übernommen wurden). Er trifft auf schöne Frauen, beeindruckende Villen auf den Hügeln über L.A., besucht die Ölfördergebiete, eine Bowling Bahn, eine Upper-Class-Party usw. Oberflächlichkeit, Provinzialität, Wirtschaftswunder. Dazu coole Musik von Massimo Urbani, hie und da mit Chet Baker an der Trompete und zwei Songs von Helen Merrill. Der Film öffnete zwar 1962 das Filmfestival von Venedig, geriet jedoch in Vergessenheit. Als die Titanus, die Produktionsgesellschaft, mit „Il Gattopardo“ und „Sodom and Gomorrah“ die Pleite riskierte, verkaufte sie ein Paket von Filmen an MGM, darunter auch „Smog“, der damit erst recht in Vergessenheit geriet und 2022 von der Cineteca Bologna und dem UCLA Filmarchiv in Zusammenarbeit mit Warner Bros. restauriert wurde. Sehenswert.</p><p>Da ich erst um 12 Uhr ein Stummfilmprogramm gebucht hatte, setzte ich mich noch in den Vortrag Case Study: The restoration of Man’s Castle von Rita Belda (links im Bild oben), die aufzeigte, wie sie mit den drei vorhandenen Kopien von „Man’s Castle“ die beim Festival gezeigte restaurierte Version hergestellt hat. Das war für den Laien ziemlich faszinierend, und wie so oft konnten manche Fragen (warum z.B. eine UK-Kopie, die erst in den frühen Vierzigern gezogen wurde, Szenen enthalten konnte, die beim Nachschnitt gestrichen wurden, in der Regel effektiv direkt aus dem Film geschnitten und vernichtet – 1933 verfestigte sich der Code und der Film wurde, wie so viele andere Filme wurde auch „Man’s Castle“ nachträglich umgearbeitet (gestrichten wurde ironischerweise auch eine Zeile aus dem „Hohelied“, weil das zu schlüpfrig war). Nachdem ich den Film tatsächlich grossartig fand, war es toll, dazu etwas mehr Einblicke zu kriegen (Belda hatte schon vor dem Film ein paar Minuten gesprochen).</p><p>Dann ging es weiter zum Programm „Best of 1903“, einem Stummfilprogramm mit hervorragender Klavierbegleitung durch Gabriel Thibaudeau. Es gab: CAPTAIN DEASY’S DARING DRIVE: ASCENT (DE, 5′), PLANCHE À RAINURES (FR, 1′), DESCENTE DANS LA BATTERIE (FR, 1′), AKT-SKULPTUREN (DE, 4′), VALSE EXCENTRIQUE (FR, 2′), A TROUPE OF RUSSIAN DANCERS (GB, 1′), L’OURS ET LA SENTINELLE (FR, 2′), LE GENDARME ET LES DOMESTIQUES ([Gaston Velle], FR, 2′), LE CHAUDRON INFERNAL (Georges Méliès, FR, 2′) und LE ROYAUME DE FÉES (Georges Méliès, FR, 17′), wenn mich nicht alles täuscht – „Captain Deasy’s Daring Drive: Descent“ war leider nicht zu sehen, obwohl das schon sehr spannend gewesen wäre, denn der irre Captain fährt mit einem Auto eine Bergbahnstrecke hoch und lässt sich dabei von einer auf dem hinterherfahrenden Zug montierten Kamera filmen, die ebenfalls gezeigt wird, wie auch ein paar Totalen von der Wegstrecke, in denen dann weitere Kameras zu sehen sind, deren Bilder in den Film geschnitten wurden – alles ziemlich elaboriert. Meine Vermutung: die Karre war Schrott und es gab nichts mehr, um herunterzufahren. Youtube belehrt mich aber eines Besseren, es gibt hier die Hälfte des „Descent“ zu sehen:</p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/2NNeuL0YKIM" width="320" youtube-src-id="2NNeuL0YKIM"></iframe></div><br /><p></p><p>Gefilmt wurde das in Caux oberhalb des Léman, in der Schweiz. Das war ein sehr buntes Programm mit Slapstick (der Bär, der mit dem Wachhäuschen „tanzt“), Proto-Schulmädchenreport (die „Akt-Studien“), Surrealismus (die Diener zerteilen den Gendarmen und setzen ihn wieder zusammen) usw. Am schönsten fand ich den langen Méliès-Film am Schluss, eine typische Mischung aus Zeichentrickfilm/Animation und real gefilmten Personen inklusive Unterwasserszenen und Begegnungen mit Kulissenfischen, Reise im Walfischbauch etc. (und einem Fels, der aussieht wie der Kopf des alten Brahms, aber das habe ich mir wohl im Filmrausch nur eingebildet – die Qualität der in der Tube zu findenden Versionen des Filmes ist viel zu bescheiden, als dass sowas nachgeprüft werden könnte). Ein „weit entferntes Land“ sei das Stummfilmkino, so Mariann Lewinsky in ihrer Einführung, bei der auch die ganze Crew der Stummfilmreihen verdankt wurde – und es war wunderbar, darein eintauchen zu können, hier, mit den Filmen von 1923, ebenso wie mit einzelnen anderen Stummfilmen (Kinugasa, Chaplin, der Screentest von Mamoulian …)</p><p>Um 14 Uhr hatte ich dann den zweiten Schock mit dem Cinema-ye Motafavet (Iranian New Wave): CHERIKE-YE TARA (Bahram Beyzaie, IR, 1979). Nach dem überlangen „Stranger and the Fog“ ist die „Ballade von Tara“ konziser und in vielerlei Hinsicht eine Fortsetzung des feministischen Kinos des ersten Filmes (140 und 102 Minuten dauern sie). Nachdem die Figur der Rana im ersten Film zwar stets mehr zu wissen scheint als alle anderen um sie herum (was vielleicht auch wirklich stimmt, denn gegen Ende des Filmes, nachdem der Fremde sie heiraten will, wird er eines Nachts angegriffen und tötet den Angreifer, der sich als der „verschwundene“ Ehemann entpuppt, der vor seinem Verschwinden Wertsachen versteckt und vergraben hatte und diese holen kommen will, als der Fremde ihn überrascht), so ist Tara im späteren Film der unweigerliche Mittelpunkt, ihre Figur einer unbeirrbaren Witwe wird von der Debütantin Susan Taslimi beeindruckend verkörpert. Kaum hatten die Dreharbeiten begonnen, erreichte die Crew die Nachricht vom Anschlag auf das Kino Rex mit über 400 Todesopfern, ausgeführt im im Auftrag von Mitgliedern der Geistlichkeit aus Qom auf Anweisung Chomeinis. Die „Prophezeiung“ von „Gharibeh va meh“ war damit wahr geworden – doch Beyzaie setzt gleich zu einem weiteren prophetischen Film an, deren Hauptfigur die Frauen vorwegnimmt, die seit der Ermordung von Jina Mahsa Amini im September 2022 ihren Protest im Iran mit unglaublicher Stärke auf die Strasse tragen. „Bahram Beyzaie’s seamless blend of myth, symbolism, folklore and classical Persian literature in Cherike-ye Tara is unparalleled in its complexity. […] Here, as well was directing, he has also produced, written, set and constume-designed, and edited a mesmerising tale that fuses the ceremonial legends of the past with contemporary life. Tara, a strong-willed widow encounters the fleeting ghost of an ancient warrior in the forest next to her village. The ghost’s appearances become more frequent and finally he talks to her, claiming a sword that she has found among her father’s effects. Without the sword, the dead warrior can’t rest. But when the sword is restored to him, it’s his love for Tara that prevents him from returning to the land of the dead“ (Khoshbakht im Programmheft). Zum Verbot des Films im Iran führte weniger der politische Symbolgehalt als die Frauenfigur, die begehrt wird aber ihr Schicksal zugleich selbst in die Hand nimmt. Der Film lief daher nur ein einziges Mal offiziell, 1980 beim Festival in Cannes. Im Film findet eine Ta’zieh-Aufführung statt, eine Art schiitisches Passionsstück, in dem die Leiden des Imam Hossein dargestellt werden. Das ist ein Bezug, ein anderer ist einmal mehr Kurosawa: Beyzaies Film könne als „feminist take“ von dessen Filmen gelesen werden, so Khoshbakht. Tara, greift, nachdem sie die Männer in ihrem Leben verloren hat (den Ehemann und dann auch den Geist des Kriegers) selbst zum Schwert und definiert ihr Frausein neu – am Ende ficht sie mit dem Ozean, was auch eine Brücke zu „Gharibe va meh“ darstellt. Zwei unfassbar tolle Filme!</p><p>Am Nachmittag schlenderte ich dann durch die zweite Runde von „Bologna Fotografata: persone, luoghi, fotografi“ in der Sottopasso Re Enzo (einer vergessenen Strassenunterführung, direkt neben der Piazza Maggiore, in der die Cineteca grössere Ausstellungen veranstaltet, letztes Jahr gab es dort einen superbe Pasolini-Ausstellung, dieses Jahr eine zweite Schau mit Fotografien aus Bologna (von der erste hatte ich mal den Katalog gekauft, sie fand 2017 statt). Dazu gab es dort auch ein paar Räume mit sehr ansprechenden poetischen Zeichentrickfilmen von Stefano Ricci – aber angesichts all der Filme, die ich an den Tagen anschaute, mochte ich mich darauf nur punktuell einlassen.</p><p>In der ersten Abendvorstellung gab es dann ein letztes Mal Kinugasa: YOSO (Teinosuke Kinugasa, JP, 1963). Sein zweitletzter Film (und der letzte in alleiniger Regie) ist das, und den fand ich unerwartet toll, nicht bloss aus formalen Gründen. Im Breitformat und in bestechendem Schwarzweiss gedreht, spielt der Film zu weiten Teilen im Palast der Kaiserin Koken (718-770 – gleiche Epoche also wie „Daibutsu kaigen“), die unter Schmerzen leidet, die die hohe Geistlichkeit nicht wegbeten kann. Zwischen 758 und 764 hatte Koken abgedankt und wurde in dieser Zeit, wie es heisst, von einem „miracle-worker monk“ namens Dokyo geheilt – und es hielten sich Gerüchte über eine romantische Beziehung der beiden. Davon – aber am Hof, ohne dass die Kaiserin abdanken würde – handelt der Film, Dosyo wird protegiert, erhält immer mehr Macht am Hof, was wiederum Intrigen heraufbeschwört, erst recht, da er sich als sozial ausgibt, der Kaiserin der Kaiserin von der Armut der Menschen in ihrem Reich erzählt. Die jüngeren niedrigen Beamten sympathisiern mit dem Eindringling, die Minister wollen ihn ermordern. Der geometrisch klar angelegte Palast, die ständig durch vertikale Linien – eine Art Zäune – getrennten Innen- und Aussenräume erlauben wahnsinnig dichte, komplett durchgestaltete Bilder, auch die Möbel am Set fügen sich ein in diese Vertikale – die eben stets in epische Breitformat eingepasst ist. Bestes Kino auf jeden Fall, ein Film, der allein mit seinen Bildern die Geschichte erzählt hätte, auch wenn es keine erklärenden Untertitel gegeben hätte. Nachdem ich von Kinugasa bis dahin nur die Stummfilme richtig toll gefunden hatte, eine eher unerwartete Versöhnung zum Abschluss.</p><p>Vor der letzten Runde machte ich einen Spaziergang u.a. zum Geburtshaus von Pier Paolo Pasolini, an dem ich jedes Mal in Bologna vorbeispaziere – es liegt auch gut, wenn man zum Komplex der „sette chiese“ will, einem der bezauberndsten Orte in der Stadt. WE LIVE AGAIN (Rouben Mamoulian, US, 1934) machte den Ausklang – netterweise kein Regen an dem Abend, sonst wäre die Vorstellung (wie die von „Peter“ ein paar Tage zuvor gestrichen worden zu Gunsten von der restaurierten Version von Bertoluccis „The Dreamers“, der auf der Piazza gezeigt wurde. Den Film fand ich dann allerdings als einzigen aus der Mamoulian-Reihe etwas enttäuschend (vgl. <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/rouben-mamoulian-18971987-il-cinema.html">Mamoulian-Post</a>). Im Rückblick hätte ich wohl besser versucht, doch noch in einen der Special Events reinzukommen, die zeitgleiche Vorführung von Joe Dantes „Gremlins“ mit Einführung von Dante selbst (für die ganzen Special Events, bei denen auch „All the Beauty and the Bloodshed“ von Laura Poitras mit Anwesenheit von Nan Goldin dabei war, waren die im Voraus reservierbaren Plätze schon weg, als ich bemerkt hatte, dass man buchen konnte).</p><p>Der letzte Tag, Sonntag (2. Juli) ist jeweils entspannter: ein grosser Teil der Festivalbesucher*innen ist abgereist und es gibt nur in einem der grossen Kinos Vorstellungen (das mit dem besten Blick auf die Leinwand aber leider auch das mit der schlechtesten Lüftung), dem Arlecchino (mein Lieblingssaal ist das Jolly, dort wird es v.a. bei unterhalb der Leinwand projizierten Untertiteln allerdings manchmal selbst für grosse Leute wie mich schwierig, alles sehen zu können). Die morgendlichen Vorstellungen liess ich aus, weil ich noch ins MAMbo wollte, das Museum für Moderne Kunst, das im gleichen ehemaligen Industrieareal liegt wie das Cinema Lumiere der Cineteca. Es gab dort aber ausgerechnet auch wieder eine Film-Ausstellung, „Yvonne Rainer: Words, Dances, Films“, bei der u.a. vollständige Spielfilme liefen, aber auch diverse kurze Experimentalfilme der 1934 geborenen Tänzerin, Choreographin und Filmemacherin, die sich u.a. an der Martha Graham School ausbilden liess (siehe oben „The Flute of Krishna“ von Mamoulian). Das war entsprechend eine Ausstellung, in der man einen halben Tag hätte verbringen können (das Ticket hätte auch einen zweiten Einlass gestattet – gute Idee, die ich hierzulande noch in keinem Museum jemals sah!), aber klar: das beisst sich mit dem Besuch des Filmfetivals. In den Sammlungsräumen gab es eine kleine Schau von Muna Mussie, „Muna Mussie. Bologna St. 173, Un Viaggio a Ritroso. Congressi et Festival Eritrei a Bologna“, mit Kunstgegenständen, Fotos, Plakaten, Flyern und Dokumenten rund um die im Titel erwähnten Veranstaltungen. Durch die mir bekannte Sammlung bin ich nur durchgeschlendert, aber den Teil des Museums, der den Werken von Giorgio Morandi gewidmet ist, besuche ich auch stets gerne (bis 2012 war das Morandi-Museum im Palazzo d’Accursio untergebracht, wo auch Teile der Stadtverwaltung residieren, nach dem Erdbeben wurde es ins MAMbo verlegt).</p><p>Auch ohne die beiden vormittäglichen Vorstellungen („Macario“ von Robert Gavaldon, 1960 und „Rysopis“ von Jerzy Skolimowski, 1964) gab es noch ein doppeltes Double Feature, also vier Filme als Endspurt, aufs Open Air auf der Piazza verzichtete ich danach („The Straight Story“ von Lynch, 1999, auch davon lief eine restaurierte Version, der jüngste restaurierte Film war Lynchs „Inland Empire“ von 2006, andere aus den letzten Jahren umfassten „The Pianist“ von Polanski, 2002, und „Il dono“ von Michelangelo Frammartino von 2003).</p><p>Los ging es um 14:15 Uhr mit ONE WAY PASSAGE (Tay Garnett, US, 1932), einer bittersüssen Liebeskomödie, die noch einmal die Möglichkeiten des Pre-Code-Hollywood-Films aufzeigte. William Powell spielt einen zum Tod Verurteilten, der sich vom ihn überführenden Polizisten für die Überfahrt von Hong Kong nach Kalifornien ausbedingt, dass er die drei oder vier Wochen auf dem Schiff ohne Handschellen reisen darf. Er lernt eine todkranke Frau kennen (Kay Francis), die beiden verlieben sich, entwickeln ein Ritual, um die Flüchtigkeit des glücklichen Moments zu zelebrieren: nach einem gemeinsamen Drink zerschlagen sie jeweils ihre Gläser. Beim Zwischenhalt auf Hawaii hätte die Figur von Powell die Möglichkeit, zu entkommen – er ist immerhin unterwegs in die Death Row – doch die Liebe siegt, der Brief, den er ihr hinterlegt hatte, verschwindet wieder in seiner Innentasche. Auf dem Schiff treiben sich weitere Betrüger und Hochstaplerinnen herum, man kennt sich (ausser die Figur von Kay Francis, die damit nichts zu tun hat), es kommt zu zahlreichen komischen Szenen, doch was bleibt ist die mit feinem Strich skizzierte, zerbrechlich-zarte und sehr berührende Liebesgeschichte. Die Schlusseinstellung: zwei Gläser werden im Close-Up auf einem Tresen zerbrochen – die beiden Liebenden weilen nicht mehr unter uns. Eine Träne, klar.</p><p>An zweiter Stelle (dazwischen immer ein Gang um den Block, um den QR-Code auf dem Festivalpass wieder scannen und sich den reservierten Sitz mitteilen zu lassen – letztes Jahre konnte man zwischen den Vorstellungen noch drin bleiben, den Platz kriegt man bei Online-Buchung auch stets 75 Minuten vor Beginn er E-Mail mitgeteilt, quasi als Einzelkarte, mit der man ohne den Pass auch reinkommen würde) folgte der letzte Film von Mamoulian LOVE ME TONIGHT (Rouben Mamoulian, US, 1932). Und das war noch einmal ein grosses, vollständig durchchoreographiertes Vergnügen, über das ich im <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/rouben-mamoulian-18971987-il-cinema.html">Mamoulian-Post</a> auch schon ein paar Zeilen geschrieben habe. Lustig, dass ich direkt nach William Powell die bezaubernde Myrna Loy sah, die hier eine „man-hungry“ Gräfin spielt. Im Film darauf hätte dann eigentlich gerechterweise Asta auftreten sollen – aber das war leider nicht der Fall.</p><p>Als nächste hatte ich „Il Ferroviere“ (Pietro Germi, IT, 1956) erwartet, doch es folgte der Film, der dem diesjährigen Festival sein Gesicht verlieh und der bei einer wegen Regen abgesagten Vorstellung ausgefallen war (er lief inzwischen – nach dem Festival – auch noch selbst auf der Piazza, falls es nicht wieder geregnet hat): QUIÉN SABE (Damiano Damiani, IT, 1966). Ich kam also doch noch in den Genuss des bad-ass Southern, in dem eine Gruppe mexikanischer Banditen um El Chuncho (Gian Maria Volonté) einen Banditen, der allmählich zum Revolutionär wird – und sich von einem suaven Yankee (Lou Castel) als Lockvogel für die Ermordung eines Generals der Revolutionstruppen ausnutzen lässt. Zum Trupp von El Churro gehören auch die schöne Adelita (Martine Bewsick) und sein Bruder, der es mit der Religion hat (Klaus Kinski in einer Paraderolle). Das machte natürlich grossen Spass und war auch insofern interessant, als die Figuren stets etwas undurchsichtig bleiben – so bringt El Churro am Ende – als alle anderen tot oder aus dem Film gefallen sind – den Yankee um, ohne dass er sagen kann, weswegen er das tut. Er weiss allerdings, dass er es tun muss. Luis Bacalov hat einen passenden Soundtrack geschrieben und es gibt viele tolle Bilder aus kargen Landschaften um Alméria (der Plan, tatsächlich in Mexico zu drehen, erwies sich als nicht umsetzbar). Gesprochen wird eine wilde Mischung aus Italienisch, Spanisch und manchmal Englisch.</p><p>Zum Abschluss gab es dann eine restaurierte, 72minütige Version von FEAR AND DESIRE (Stanley Kubrick, US, 1953) – ein existentielles Kammerspiel um vier Soldaten, die hinter den feindlichen Linien abgestürzt sind und sich wieder auf ihre Seite durchschlagen wollen. Sie bauen ein Floss, werden von einer Einheimischen entdeckt, die sie gefangen nehmen und später eher versehentlich töten, entdecken dann einen Aussenposten des Gegners – und auch wenn das wohl im Koreakrieg spielen sollte, sehen die Gegner genau so aus, wie „unsere“ Soldaten. Der Clou: zwei der Darsteller des Vierertrupps spielen auch den feindlichen General und seinen Offizier – sie töten sich damit dann quasi – im raffinierten Gegenschnitt – selbst. Ein Antikriegsfilm, der gerade deshalb so eindringlich ist, weil er überall und nirgends spielt. Beim <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Fear_and_Desire">Wiki-Eintrag</a> ist die übliche einstündige Version des von Kubrick am Ende zurückgehaltenen Filmes zu finden, ebenso die Sätze, mit denen der Film aus dem Off beginnt: „There is a war in this forest. Not a war that has been fought, nor one that will be, but any war. And the enemies who struggle here do not exist unless we call them into being. This forest then, and all that happens now is outside history. Only the unchanging shapes of fear and doubt and death are from our world. These soldiers that you see keep our language and our time, but have no other country but the mind.“ Die in Bologna gezeigte Version tauchte vor kurzem in der Library of Congress auf, sie lief 1952 unter dem Titel „Shape of Fear“ beim Festival in Venedig und kam dann in die Kinos, bis Kubrick dem Film 1953 zurückzog. Sie wurde von der LoC zusammen mit Kino Lorber, die 2012 die einstündige Fassung erneut herausgebracht hatten, restauriert.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh7ftnwJGLY7HYG2GUT-pdqGoaFknwTMQKssbyC-aO3eseRGtLC_M0t4YGdgWXvMF9N0-7XH9sxvF4t7-1UmlaWjbwHl2AixeTHFwfdGI6CvaotKveo5ZqZT9-bGMawyjNE1m5U66qsehncPJ6iSvJIpFIR_Vlac_6LdrOfff2ysfZFa6L9DQ7C_KPRjWI/s1663/6ca447d18a131ed2.jpeg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1247" data-original-width="1663" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh7ftnwJGLY7HYG2GUT-pdqGoaFknwTMQKssbyC-aO3eseRGtLC_M0t4YGdgWXvMF9N0-7XH9sxvF4t7-1UmlaWjbwHl2AixeTHFwfdGI6CvaotKveo5ZqZT9-bGMawyjNE1m5U66qsehncPJ6iSvJIpFIR_Vlac_6LdrOfff2ysfZFa6L9DQ7C_KPRjWI/w640-h480/6ca447d18a131ed2.jpeg" width="640" /></a></div><br /><p>Und dann ging’s wieder heim … mit im Gepäck nicht nur der Festival-Katalog sondern auch der Band über Albert Samama Chikli – ein dickes, sehr schön gestaltetes Buch, das freundlicherweise (im Gegensatz zu den meisten Publikationen der Cineteca, mal von den Festivalprogrammen abgesehen) vollständig zweisprachig (it/en) herausgebracht wurde. Eine kleine Broschüre war geplant, als erstes Produkt der Aufarbeitung des Chickli-Archivs, doch daraus wurde dieser prächtige, reich bebilderte Band.</p><p>Ich hätte wirklich gar nichts dagegen, wenn sich der Besuch des Festivals als jährliche Tradition etablieren würde …</p><p>Die Veranstaltungen („Cinema Lessons“), Referate über Restaurationen („Case Studies“) und mehr werden jeweils auch aufgezeichnet, hier findet man die Liste der Veranstaltungen von 2022 (und ganz unten auch die Links zum Katalog und dem Programm):<br />https://festival.ilcinemaritrovato.it/en/archivio/2022/</p><p>Ansteuern kann man das Archiv über die „Film Database“ oben im Menu. So sollten das alle Festivals und Veranstalter mit den Infos zu vergangenen Veranstaltungen handhaben!</p><p>Finis</p><p>--</p><p>Ein PS noch: neben den Special Events habe ich leider vollständig verpasst: die „Powell Before Pressburger“-Reihe, die dt. Exilkomödien von 1934-36, die russischen Diven in Italien, die kleine Elfi Mikesch-Reihe, die Lindtberg-Reihe (da der Anlass dazu das 100. der Präsensfilm 2024 ist, rechne ich mit eine Retro in Zürich, die ich dann verpassen werde, weil ich nie Zeit habe) und die Reihe mit Filmen von Anna Magnani (bei italienischen Filmen kann es wohl ganz selten vorkommen, dass es keine Untertitel – auch keine digital eingeblendeten – gibt, die Angaben im Voraus sind nicht immer komplett, aber in der Regel gibt es *mehr* Untertitel als im Voraus angegeben). Und einige Meisterwerke von Renoir, Lubitsch, Hitchcock usw. in der Reihe „Restored and Recovered“. Aber bei dem irren Angebot geht das halt nicht anders und ich habe mich im Zweifelsfall stets für die Rarität entschieden, davon ausgehend, dass z.B. die Filme von Magnani immer mal wieder gezeigt werden.</p><p>Ein paar Sachen verpasst zu haben bedaure ich aber wirklich, so „Ciné-Guerillas: Scenes from the Labudovic Reels“, Sembènes „Ceddo“ und „Concerto pour un exil“ (Derié Ecaré, Elfenbeinküste/FR, 1968 – der lief beim anderen Screening von „Bushman“ als Vorfilm) und „Al-Makhdu’un“ (Tewfik Saleh, Syrien, 1972) in der Cinemalibero-Reihe, zudem einige restaurierte Filme, besonders „Ishanou“ (Aribam Syam Sharma, Indien, 1990 – der oder die Kurzfilme von Joyce Wieland).</p><p>Egal. Was für ein Glück, dieses Festival! Es ist wie geschaffen für mich.</p><p>(zu <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/il-cinema-ritrovato-bologna-24-june-2.html">Teil 2</a> / zum <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/rouben-mamoulian-18971987-il-cinema.html">Post zu Rouben Mamoulian</a>)</p>ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-34497282873604296492023-07-17T12:40:00.003+02:002023-07-18T12:41:52.258+02:00Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24 June - 2 July 2023 - XXXVII edizione (2/3)<p> <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjksp2cPgRXpQ4BZr-A87eYm8A7jzF8xIWCX3efUgqUS9177-vSJkOeE0htQRMzDjJK6LUzbOa5Em4n1orWuoihnfyntVf0Fr7m9igxrQlo-r0sEMpILvSiDcqs9Qx6yBUN0wzAKZmW6VTSLcSWFCQAmrArS7GV1g32AA2KOu_3bX_3nHIaHrNj1Gg9Z_g" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em; text-align: center;"><img alt="" data-original-height="1247" data-original-width="1663" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjksp2cPgRXpQ4BZr-A87eYm8A7jzF8xIWCX3efUgqUS9177-vSJkOeE0htQRMzDjJK6LUzbOa5Em4n1orWuoihnfyntVf0Fr7m9igxrQlo-r0sEMpILvSiDcqs9Qx6yBUN0wzAKZmW6VTSLcSWFCQAmrArS7GV1g32AA2KOu_3bX_3nHIaHrNj1Gg9Z_g=w640-h480" width="640" /></a><br /><br /></p><p>Dienstag 27. Juni, Tag drei, begann mit einem Highlight: BUSHMAN (David Schickele, US, 1971). Ein recht kurzer Film (73′), der gleich mit einer unsterblichen Sequenz beginnt: Gabriel, die Titelfigur, mit der wir durch den Film gehen, geht barfuss mit seinen Converse auf dem Kopf eine Strasse entlang, dreht sich hie und da um, um Autostopp zu machen. Dazu Yoruba-Trommeln, die sich mit einem Cembalo-Stück von Henry Purcell mischen. Der Film geht der Identität von Gabriel nach, dem „Bushman“, der in die USA gekommen ist, um zu unterrichten. In Flashbacks und Gegenüberstellungen wird seine Geschichte skizziert – stets in eindringlichen Bildern, die nicht vieler Worte bedürfen. „With one eye on cinéma vérité, the European new waves and early Cassavetes, and the other on African pioneers like Sembène, Ecaré and Hondo, Schickele not only condemns the reactionary and racist America which will later frame Gabriel on the slightest of pretexts, but also the liberal America of progressive intellectuals who quote McLuhan and Malraux but lapse into rhetoric and misunderstand the deeper meaning of human experience. With irony, poetry and a delicate touch, Bushman leads us into the darkness of the beginnings of an odyssey“ (Cecilia Cenciarelli im Programmheft). So ein Film um 9:15 und der Tag ist eh schon grossartig … Gabriel heisst in Wahrheit Paul Eyam Nzie Okpokam. Bei Protesten auf dem Campus (San Francisco State College) wird ihm was untergejubelt, er kommt in Ausschaffungshaft und wird nach einem Jahr oder noch länger in Haft abgeschoben – ohne dass der Film zu Ende gebracht werden konnte. Gedreht wurde er 1968, fertiggestellt 1971 mit einer Coda, in der dieses letzte „Kapitel“, das schmerzhaft real ist, auch noch erzählt wird. Die neben dem Einstieg tollste Sequenz ist irgendwo mittendrin zu finden, Paul läuft mit einem Stück Baumstamm durch die Gegend, nimmt diesen überall hin mit. Einprägsame, umwerfende Bilder, die nicht vieler Worte bedürfen. Aber das sagte ich ja schon.</p><p>CORTILE CASCINO (Robert M. Young/Michael Roemer, US, 1962) und FACES OF ISRAEL (Michael Roemer, US, 1962) gab es danach, nebst einer langen Einführung durch Goffredo Fofi, der einst als junger Aktivist selbst ein Jahr im Cortile Cascino lebte, tagsüber den Kindern, abends ihren Eltern Lesen und Schreiben beibrachte, sich auch – ohne jegliche Ausbildung – um medizinische Grundversorgung kümmerte. Fofi hat später u.a. Texte von Buñuel herausgebracht und auf dessen Frage, welchen seiner Filme er am liebsten mochte, „Los olvidados“ genannt – und nachgeschoben: aber in Palermo hätte es ein Viertel gegeben, in dem es noch viel schlimmer gewesen sei. Das war Cortile Cascino, wo Roemer/Young 1962 ihren 46′-Film drehten, im Auftrag der NBC, die dann aber so schockiert vom Ergebnis war, dass die Ausstrahlung abgesagt, die Negative vernichtet, Young gefeuert wurde. Überlebt hat der Film dank einem NBC-Mitarbeiter, der an die Verdienste des Filmes glaubte. Jedenfalls ist es unglaublich, diese Bilder zu sehen. Ein Ort im Nachkriegseuropa, an dem vom Wirtschaftswunder nichts zu sehen war. Und natürlich hatte auch hier die Mafia das Sagen: selbst bei Elendesten gibt es noch etwas zu holen, Märkte, Friseursalons oder illegale Schlachthöfe zu kontrollieren, Glücksspiel – und selbst die Konzessionen für Begräbnisse. Wenn ich das richtig erinnere, reichte die Aufregung um den wie gesagt gar nicht ausgestrahlten Film (er wurde Auszugsweise 1993 im Film <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Children_of_Fate:_Life_and_Death_in_a_Sicilian_Family">Children of Fate: Life and Death in a Sicilian Family</a> veröffentlicht) aus, um das Viertel dem Erdboden gleich zu machen und die Menschen von dort zu vertreiben. Dass Fofi dabei war – und auch die Protagonist*innen des Films teils persönlich kannte – gab dem ganzen nochmal eine völlig andere Dimension. Für den Bilderreigen von „Faces“, einem lyrischen Montage-Film, wie man ihn auch von Chris Marker kennt, und jetzt ganz ohne die bei „Cortile“ erzwungenen Voiceovers, hatte ich danach leider nicht mehr viel Aufmerksamkeit übrig – aber klar, mit Fofi im Saal wäre es auch seltsam gewesen, diesen zuerst zu zeigen. Und vielleicht war die Idee auch, dass nach dem erschütternden Elend ein paar hoffnungsvolle Bilder gut tun würden? Jedenfalls tat es mir leid, dass ich dem Film unter den Umständen schlicht nicht gerecht werden konnte.</p><p>Am Nachmittag sah ich zwei Dokumentarfilme im DAMSlab, dem erwähnten Raum, der eher einem Hör- als einem Kinosaal gleicht. DOROTHY ARZNER, UNE PIONNIÈRE À HOLLYWOOD (Clara Kuperberg, Julia Kuperberg, FR, 2023) ist der Abschluss der Filmreihe, die die Kuperberg-Schwestern über die Pionierinnen Hollywoods machten – sagten sie zumindest bei der Einführung, denn es gäbe nun keine weiteren, sie hätten über sie alle einen Film gedreht. Das war ein ansprechender Film, wie ich ihn gerne mal bei arte gucken würde … vor allem machte er mir aber grosse Lust auf die Filme von Arzner, von denen ich noch keinen einzigen kenne.</p><p>Im Anschluss folgte ANTONIA: A PORTRAIT OF THE WOMAN (Judy Collins, Jill Godmilow, US, 1974) – und der wiederum war sehr toll. Antonia Brico, die Dirigentin und ebenfalls Pionierin (u.a. als erste Frau am Pult der Berliner Philharmoniker, 1930), war mir kein Begriff. Ihre „Karriere“ ist eher die Abwesenheit einer selbigen – sie war ja schliesslich eine Frau. Ein faszinierender Einblick in das Schaffen, Denken, Fühlen einer Person, die als Künstlerin kompromisslos und wahnsinnig engagiert war – aber mit all ihrer Energie jahrzehntelang nirgendwohin konnte, weil sie eben fast keine Engagements kriegte. Der Film scheint das etwas gebessert zu haben, aber das bezog sich dann nur noch auf die letzten paar Lebensjahre.</p><p>Danach gab’s mein erstes Kinugasa-Highlight: JUJIRO (Teinosuke Kinugasa, JP, 1928), wieder mie Einführung von <a href="https://www.brookes.ac.uk/profiles/staff/alexander-jacoby">Alexander Jacoby</a> und <a href="https://www.gov-online.go.jp/eng/publicity/book/hlj/html/201902/201902_11_en.html">Johan Nordström</a>, und mit Donald Sosin am leidigen digitalen Klavier (ich schreibe „Klavier“ und nicht „Synthesizer“ oder „Keyboard“, weil das Ding wie eine Art kleiner Stutzflügel aussieht). Der Film ist nach „Kurutta ichipeiji“ (s.u.) der zweite avantgardistische Film von Kinugasa – dazwischen hat er 19 Filme in 19 Monaten, meist „chanbara“ (Actionfilme) – und er beschrieb „Jujiro“ später als „chanbara without swordfights“. Das recht gradlinig erzählte Melodram über einen unglücklich in eine Kurtisane verliebten jungen Mann und seine aufopfernde Schester kommt als grosses expressionistisches Drama voller unfassbar starker Bilder, Licht- und Schatteneffekte und ungewöhnliche Kameraeinstellungen daher. Auch die Kulissen können sich sehen lassen: das Gebäude, in dem Bruder und Schwester wohnen, hätte auch in einen Film des deutschen Expressionismus gepasst (ist aber weniger kantig), die späteren Aussenszenen (die natürlich alle nicht draussen gedreht wurden) verraten, woher das seltsame Setting von „Yukinojo Henge“ kommt.</p><p>Zum Ausklang des Tages wollte ich einen einzigen Film aus der Reihe der dt. Exilkomödien sehen, Hermann Kosterlitz‘ „Peter“ aus dem Jahr 1934 – doch leider hat es an dem Abend geregnet und die Open-Air-Vorstellung von der Piazza wurde in drei Kinos statt der dort geplanten Filme gezeigt. Schlimm war das nicht, denn den Film, den ich zu sehen kriegte, hatte ich am nächsten Morgen wegen drohenden Overkills schon gestrichen – und kriegte ihn auf dem Umweg halt doch noch zu sehen: BIRUMA NO TATEGOTO (Kon Ichikawa, JP, 1956). Der Film handelt von japanischen Truppen, die 1945 in Burma stationiert sind, als das Kaiserreich kapitulierte. Die Truppe, zu der auch Mizushima gehört, ergibt sich – nach einer irren Szene, in der sie sich für belagert hält und von britischen Truppen umzingelt wird – beide Seiten singen dabei lauthals im Chor, die Japaner auch, um geplante Verteidigungsmassnahmen zu vertuschen. Mizushima, der sich in der Zeit in Burma das Spiel der Harfe beigebracht hat („Die Harfe von Burma“ ist der dt. Alternativtitel), meldet sich freiwillig, um eine andere japanische Truppe zur Kapitulation zu überreden, die in einem Berg verschanzt zum letzten Gefecht bereit ist. Er zieht los, scheitert, wird beim Sturm der Briten verletzt, von einem Mönch versorgt – und zieht dann selbst als Mönch durch das Land, sucht die Nähe vom Gefangenenlager, in dem seine Freunde aus der Truppe einsitzen, reagiert jedoch nicht, als diese ihn (zu) erkennen (glauben). Als sie nach Hause dürfen, schreibt er dem Kommandanten einen Brief, dass er im Land bleibe, um der vielen toten Japaner zu gedenken, die überall herumliegen – apokalyptische Bilder gibt es auf seinen Wanderungen immer wieder zu sehen, und so wird aus dem Film, der als spannender Kriegsfilm beginnt, ein eindringlicher Antikriegsfilm (gezeigt wurde die 116minütige Einteiler-Version in einer Restauration von 2022).</p><p>Am Mittwoch (28. Juni) bin ich dann erst auf die 11-Uhr-Vorstellung ins Kino, mit GOLDEN BOY (Rouben Mamoulian, US, 1939) zum Einstieg. Wo ich eine ganze Menge Pre-Code-Filme zu sehen kriegte (nicht nur von Mamoulian) drängt sich ein wenig die Frage auf, wie der Film wohl ausgesehen hätte, wenn er von 1932 statt von 1939 wäre. Die (verhinderte) Liebesgeschichte zwischen dem mittelmässigen Musiker, der zum Boxer wird (William Holden) und Barbara Stanwyck, die das love interest seines zynischen Managers (Adolphe Menjou) spielt, hätte wohl einiges offenherziger erzählt werden können. Doch auch so ist das ein klasse Film, den eigentlich Frank Capra hätte drehen sollen, während Mamoulian für „Mr. Smith Goes to Washington“ vorgesehen war. Doch es kam genau umgekehrt. Das Drehbuch basierte auf einem Stück des linken Autors Clifford Odets von 1937, Mamoulian überwachte selbst die Anpassung, in deren Rahmen die politischen Aspekte wegfielen bzw. weniger wichtig wurden, dafür Humor und Ironie dazukamen. Die Charaktere von Holden und Stanwyck sind beide nicht klar festgelegt: er schwankt zwischen seiner Brutalität als Boxer und der Empfindsamkeit als Musiker, sie weiss nicht, ob sie den harten Boxer oder den Musiker liebt. Am Ende – nachdem er seinen Manager durch einen Mobster eingetauscht hat – tötet er unbeabsichtigt einen Gegner im Kampf – und hört zu Boxen auf. Ob es da schon zu spät ist, lässt der Film offen. Von Holden habe ich glaub ich noch keinen so frühen Film gesehen – er überzeugt in der Rolle unbedingt, aber die Glanzlichter setzt Stanwyck mit ihrer so ambivalenten, zynischen Figur.</p><p>Der Nachmittag gehörte dann Albert Samama Chikli (1872–1933), einem tunesischen Regisseur, Photographen, Technikfreak, Abenteurer, Radrennfahrer und ganz allgemein Kino-Pionier. Geboren in eine wohlhabende jüdisch-tunesische Familie, der Vater Bankier des Bey und Gründer einer Bank, aus der später die Bank of Tunisia wurde. Der Nachlass von Chikli wurde von den Erben der Cineteca Bologna übergeben, um 15’000 Fotos und 4’000 Dokumente, und mit der Aufbereitung dieser Bestände konnte auch Filme als von oder mit Chikli identifiziert werden. Im <a href="https://festival.ilcinemaritrovato.it/en/proiezione/progetto-samama-chikli/">ersten Programm</a> wurden zunächst Dokumentarfilme und Newsreels aus den Gaumont- und Pathé-Archiven gezeigt (FR/IT/TN, 1911-1930), dann folgte [EN MARGE DU FILM ‚LES CONTES DES MILLES ET UNE NUITS‘], ein halbstündiger Spielfilm, dessen Herkunft noch nicht geklärt ist. Vermutlich entstand er als Nebenprodukt der Dreharbeiten zum genannten Film, bei dem – das haben die Forschungen in Bologna zum Vorschein gebracht – Chikli als einer von zwei Kameramännern und als Kontakt vor Ort in Tunesien mitwirkte. Mariann Lewinsky, eine der vier Leiter*innen des 2023er-Festivals und Herausgeberin des neuen Buches über Chikli, schreibt: „What might have been the purpose of this short film? Was it ever released? Or rather shot by the Ermolieff cast and crew [die „Les Contes de Milles et une Nuits“ produzierte] as an elaborate private souvenir of their stay in Tunisia? It is marvellous to see Albert Samama acting, and devastating how in this innocent little film, his destiny in the context of the 1920s is laid bare, involuntarily. Tunisia is reduced to serve as location for international productions and the Tunisian filmmaker relegated to the role of a servant.“ Stephen Horne sorgte – in einem er Säle der Cineteca mit einem richtigen Klavier – für eine hervorragende Begleitung.</p><p>Im Anschluss gab es auch LES CONTES DES MILLE ET UNE NUITS (Viatcheslav Tourjansky, FR, 1921), den 70minütigen Spielfilm, an dessen Rand der davor gezeigte Kurzfilm entstanden ist – mit Matti Bye am Klavier und Eduardo Raon an der Harfe, wobei letztere selten konventionell gespielt wurde und einige an Elektronik zum Einsatz kam. Dass Chilkli eben als Kameramann und Koordinator in Tunesien (der Film wurde als Dreiteiler produziert – eben von Ermolieff, die sich 1922 in Albatross umbenannten – , überlebte aber nur in einer verkürzten Version, wie sie in den USA distribuiert wurde) konnte erst 2022 durch den Fund eines Zeitungsausrisses von 1921 im Nachlass bestätigt werden: „Cameramen were Mr. Leclerc, a veteran camera operator for Pathé, and Mr. Samama-Chikli, who has been of great help to all of these screen artists“). Im Gegensatz zum Kurzfilm, der völlig ohne Zwischentitel auskommen und perfekt funktioniert (der Plot ist auch recht simpel), sind „Les Contes des Mille et une Nuits“ ein elaboriertes Produkt: Karawanen, Paläste, Kostüme, Reichtümer, natürlich die Geschichte in der Geschichte … die Begleitung passte sehr gut, und die Exotica haben durchaus ihren Charme.</p><p>Dann ging’s wieder rüber in den Vorlesungssaal, in dem DOWN AND OUT IN AMERICA (Lee Grant, US, 1986) gezeigt wurde. Im Lauf des Films habe ich mich mehrmals gefragt, ob ich den Film nicht bereits gesehen habe? Vermutlich nicht, aber die Szenen auf dem Land bei den protestierenden Farmern, die ihr Häuser, ihren Fuhrpark, ihr Land unter Wert verkaufen müssen, weil die Banken ihnen keinen Kredit mehr gewähren, kamen mir sehr bekannt vor. Ein deprimierender Film, in dem es zudem um die Wohnungsnot in den Grossstädten geht, wie Obdachlose in New York in „Hotels“ versorgt werden, wie sie quasi zum Produkt einer profitablen Wohlfahrtsindustrie gemacht werden, völlig entrechtet und jeglichen Handlungsspielraums beraubt. Ein Projekt in San Francisco, eine Art autonome Siedlung auf einem Parkplatz (von dessen Besitzer toleriert), wird natürlich plattgemacht, geräumt, komplett zerstört – denn dass diese Menschen sich Handlungsmacht zurückerobern, ist nicht vorgesehen. Und ich befürchte, das ist in den westlichen Ländern bis heute genau so – der letzte Skandal über grosse Profite, die private Vermieter mit Gammelliegenschaften, in denen unter unhaltbaren Zuständen im Auftrag (aber ohne Kontrolle) der Obrigkeit Randständige einquartiert werden liegt in Zürich z.B. nur wenige Jahre zurück. Heftig fand ich besonders die Schlussszene, in der eine Familie auf einem Pier in Coney Island sitzt und Grant sich einmischt: ob die Situation (die Wohnung brannte aus, sie wurden in ein Gammelhotel umquartiert, die Wohnung später renoviert und neu vermietet, aber natürlich nicht an sie, denen nach dem Brand gar nichts geblieben ist) ihre Beziehung verändert habe, will sie wissen. Und dann scheint etwas zu passieren, eine Reflektion, eine Klarheit, die einen möglichen Bruch durchaus denkbar macht – eine Reflexion, wie sie eben ohne Grants Eingreifen vielleicht nicht stattgefunden hätte. Ähnlich wie in „Cortile Cascino“, wirft das Eingreifen der Filmemacher*innen grosse ethische Fragen auf (die nur Michael Moore, der moralische Sauhund, für sich so eindeutig beantworten kann, befürchte ich – reflektiertere Menschen könnten an diesen Fragen eher zerbrechen als sie beantworten).</p><p>Dass es danach eine lange Pause gab und einen leichteren Film in der Spätvorstellung, passte dann sehr gut: CITY STREETS (Rouben Mamoulian, US, 1931) machte den Ausklang dieses Tages, ein Gangsterfilm, in dem die Hauptdarstellerin Nan einsitzt, weil sie ihren Vater nicht verraten will (der ihr die versprochene Hilfe nicht bieten kann). Der Schiessbuden-Sharpshooter The Kid verliebt sich in Nan, lässt sich während ihres Gefängnisaufenthaltes auf die Bootlegger-Geschäfte von deren Vater ein. Die Bildsprache des Filmes ist einmal mehr voller Überraschungen: Kameraarbeit (Lee Garmes) zwischen Dokumentarfilm und Expressionismus mit viel Dunkelheit und Schatten, die Erzählweise wirkt oft Fragmentarisch, Objekte und Bewegungen werden zur Metapher: vom Schaum in einem Bierglas wird zu zu einer Bierflasche geschnitten, zu einem Wasserstrom, zu Wassertropfen. Es gibt aufgeladene Close-Ups (wenn Sylvia Sidneys Nan sich an die Vergangenheit erinnert), Assoziationen, bei denen Gegenstände, die Mise-en-Scène zum zentralen Bedeutungsträger werden. Eins meiner Mamoulian-Highlights, zweifellos.</p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEip-K3hqk1gy7nyCx-PTyAvw1WcBoh7UmaV3aVHw1nXk33m00AF8JOTbZpVAYjK-0d0t6UHxsvekkrPTNj5KGcIrGzerVvVH44A7PWcOSzl5d8N8UF1ICwwK0EVJ6r2jsqf8HnyRWVC1g9JRQURD8iQh5VP05CQu4gPS0ZCi6HKzSJU8gAzx_FXl4hXazE" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="" data-original-height="1247" data-original-width="1663" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEip-K3hqk1gy7nyCx-PTyAvw1WcBoh7UmaV3aVHw1nXk33m00AF8JOTbZpVAYjK-0d0t6UHxsvekkrPTNj5KGcIrGzerVvVH44A7PWcOSzl5d8N8UF1ICwwK0EVJ6r2jsqf8HnyRWVC1g9JRQURD8iQh5VP05CQu4gPS0ZCi6HKzSJU8gAzx_FXl4hXazE=w640-h480" width="640" /></a></div><br /><p></p><p>Am Donnerstag 29. Juni hatte ich dann wieder ein volles Programm. Los ging es um 9:15 mit RINGS ON HER FINGERS (Rouben Mamoulian, US, 1942), eine leichtfüssige Romanze mit Zügen einer Screwball-Komödie (was aber letztlich wegen Gene Tierney nicht recht klappen will). Tierney, die naive Lingerie-Verkäuferin im Warenhaus wird von einem paar abgebrühter Hochstapler rekrutiert. Sie fassen Henry Fonda ins Auge, dessen Figur: ein Mann mit dem gewissen „Wall Street tan“. Dieser will mit seinem ganzen Ersparten ein Schiff kaufen – das natürlich jemand anderem als den Hochstaplern gehört, die es ihm verkaufen und verliebt sich dabei blöderweise unsterblich in Tierneys Figur. Die beiden verlieben sich tatsächlich, es wird klar, dass er nur ein kleiner Angestellter ist. Der Film hat einen guten Flow, ist elegant, fröhlich und voll mit typischen Mamoulian-Motiven (Beine, Lingerie, Mannequins) und -Themen (vertauschte Identitäten, Transformationen, Role-Playing). Das Skript ist allerdings sehr wortreich, Tierney als comédienne wie gesagt eher limitiert. Fonda glänzt dafür umso mehr und auch die Nebenrollen (der skurrile Detektiv, die Betrüger) sind super.</p><p>Einmal um den Block und wieder in die Schlange gestanden für den nächsten Mamoulian: BLOOD AND SAND (Rouben Mamoulian, US, 1941), ein Jahr früher aber in Farbe gedreht, um nicht zu sagen: gemalt. Im <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/rouben-mamoulian-18971987-il-cinema.html">Mamoulian-Post</a> schrieb ich zu „Blood and Sand“ schon ein paar Zeilen, die ich jetzt einfach nochmal kopiere:</p><p>In manchen Filmen arbeitet Mamoulian wie ein Maler. „Blood and Sand“ von 1941 über den Aufstieg und Fall eines Toreros ist das beste Beispiel dafür. Goya, Velázquez oder El Greco hat Mamoulian studiert und setzt ihre Kunst um, inszeniert Tableaux des Begehrens, der Verführung, des Todes, mit Hilfe seiner Kameramänner Ernest Palmer und Ray Rennahan, die für ihre Technicolor-Arbeit mit dem Oscar ausgezeichnet wurden. Mamoulian erzählte später in einem Interview (Sight & Sound Nr. 3, Sommer 1961), wie er gearbeitet hatte. U.a. habe er stets eine riesige Kiste mit Schals, Taschentüchern etc. in allen möglichen Farben dabeigehabt, um damit bei den Kostümen jederzeit Farbakzente setzen zu können. Und er hatte eine ganze Batterie von Sprühpistolen, mit denen er die Sets, die Kostüme oder sogar die Darsteller*innen im Bedarfsfall ansprühte. „The art director had made me a beautiful chapel; and he was very upset when I sprayed everything with green and grey paint. Then again, there’s a banquet, which was done entirely in black andd white. There were flowers on the table and (naturally) the leaves were green. I think when they saw me painting them black, they went and told Mr Zanuck I’d gone out of my mind.“</p><p>Eine Geschichte um Traum und Wirklichkeit, um Aufstieg und Fall, um Mann und Frau.</p><p>Nach der Mittagspause sah ich einen ganz bezaubernden Film: MAN’S CASTLE (Frank Borzage, US, 1933). Der Film wurde gerade restauriert und lief in einer 78minütigen Version, für die soweit möglich der (Vor-)Zensur zum Opfer gefallene Szenen wiederhergestellt wurden (mehr dazu dann im dritten Post). „Man’s Castle“ erzählt die Geschichte von Bill und Trina, Spencer Tracy und Loretta Young, einem Tagedieb (und -löhner) und einer mittellosen jungen Frau. Eine zarte, sehr fragile Liebesgeschichte, in der die schönsten Aspekte des Stummfilms fortleben, Gesten und Bilder, mit denen eine unglaubliche Zärtlichkeit, eine grosse Intimität erzeugt werden. Der stattliche Mann mit Frack und Zylinder entpuppt sich als Sandwichmann, der Werbung für eine bekannte Kaffeemarke macht. Er nimmt sie mit in eine Bretterbudensiedlung, in der sie sich gemeinsam häuslich einrichten – wobei Bill stets den vorbeiratternden Zügen nachträumt (eine Bahnlinie führte mitten durch Cortile Cascino in Palermo), deren Lärm Trina wiederum kaum ertragen kann. In einer leider nur sehr kurzen (durch die Restauration minimal verlängerten) Szenen, einer der schönsten des Filmes, zieht Bill sich aus und springt nackt in ins Wasser. Trina folgt ihm Sekunden später nach, und gemeinsam schwimmen sie zum Mond. So entsteht eine Art Sicherheit, fragil und stets bedroht, auch durch die Lebemann-Seite von Bill. Trina eröffnet Bill, dass sie schwanger ist – doch statt dass Bill auf den nächsten Zug aufsteigt, tun sie das gemeinsam. Eine Art poetischer Irrealismus und ein Sieg über die kaum auszuhaltende Realität (die Brettersiedlung liess mich auch an den Film von Lee Grant denken) – ein Triumph auch des Kinos, das uns wider jede Vernunft eröffnet, dass nichts unmöglich ist.</p><p>Im Rahmen der 16mm-Reihe lief auch ein Schwerpunkt zum experimentellen Kino aus dem Québec und aus Kanada. Von den drei Programmen sah ich das zweite, „Looking Back: Focus on Joyce Wieland“, in dem es vier Kurzfilme zu entdecken gab: PEGGY’S BLUE SKYLIGHT (Joyce Wieland, CA, 1964, 12’), WATER SARK (Joyce Wieland, CA, 1965, 14’), A & B IN ONTARIO (Hollis Frampton/Joyce Wieland, , CA, 1967–1984, 16’) und RAT LIFE AND DIET IN NORTH AMERICA (Joyce Wieland, CA, 1969, 16’). Die Filme entstanden nach ihrem Umzug von Toronto nach New York, die ersten zwei in ihrem Studio, das auch Wohnraum war. Aus Körperteilen, Alltagsobjekten, und im ersten Film der Musik von Paul Bley werden poetische Kompositionen, doch im letzten der Filme „verrät“ Wieland das Credo der New Materialists: der Film über das Leben und die Nahrung der Ratten hat ein Narrativ, ist ein Anti-Vietnamkriegsfilm, voller ironischer Brüche zwar und äusserst humorvoll, aber dennoch ein Film mit einer klaren Message. Der gemeinsam mit Hollis Frampton gemachte dritte Film – erst 1984, nach dessen Tod, montiert – dokumentiert eine Künstler*innenfreundschaft und enthält Szenen, die nah am Slapstick sind. Wieland und Frampton schleppen ihre Kameras herum, verfolgen, belauern und Filmen sich gegenseitig.</p><p>Diese ganzen „kleineren“ Programme (Stummfilme, Experimentelles, Dokumentarfilme) liefen in der Regel in den drei Sälen der Cineteca. Dort folgte auch ein Programm aus der 1923-Reihe mit drei weiteren kürzeren Filmen: LA MONTAGNE INFIDÈLE (Jean Epstein, FR, 24′), SURPRISE (Dave Fleischer, US, 9’) und GOSSETTE – Ep. 2: Le Revenant (Germaine Dulac, FR, 48′). John Sweeney (p) und Frank Bockius (d) begleiteten Epsteins Aufstieg auf den Ätna wenige Tage nach dessen Ausbruch vom 22. Juni 1923. Mit den Kameramännern Paul Guichard und Léon Donnot zog er los, um den Berg einzufangen. Gezeigt wurde eine eingefärbte 28mm-Kopie mit spanischen Zwischentiteln, frisch restauriert von der Filmoteca de Cataluña. Dann übernahm Bockius allen für „Surprise“ aus dem Fleischer Animationsstudio, das zu Tonfilmzeiten berühmt wurde, aber schon davor tätig war. Ein Clown, der in vielen Filmen auftritt und irgendwann den Namen KoKo kriegte, interagiert im Film mit dem Zeichner Max Fleischer und entflieht in die reale Welt. Max beendet aus Versehen die Romanze des Clowns in der Animation, der Clown rächt sich … und Bockius begleitete das alles kongenial. Als Hauptevent gab es dann die zweite Episode des Sechsteilers „Gossette“ von Germaine Dulac (von der auch die „Souriante Madame Beudet“ – die ich schon mal gesehen habe – und drei „illustrated records“ gezeigt wurden), ein „original, visually captivating, subtly sentimental, and exhilaratingly suspenseful crime drama, with ample servings of plot twists and cliffhangers“. In verkehrten Gender-Rollen wird das Waisenkind Gossette, deren Zieheltern und Gönner in Ep. 2 ermordet werden, zur Heldin, die den fälschlicherweise beschuldigen Sohn der beiden rettet. Diese eine Episode erlaubte nur bedingt, das ganze zu erfassen, boten aber einige abenteuerliche Einstellungen, die den Avantgarde-Background Dulacs verraten, einen guten Flow und durchaus Spannung. Sweeney war als Begleiter zudem exzellent. Als Coda gab es danach noch zwei zusammenmontierte tschechoslowakische Newsreels, in denen die am 26. März 1923 verstorbene Sarah Bernhardt gewürdigt wurde.</p><p>Im Spätprogramm folgte dann das zweite Kinugasa-Highlight, KURUTTA ICHIPEIJI (Teinosuke Kinugasa, JP, 1926), gefolgt von ONI AZAMI (Teinosuke Kinugasa, JP, 1927, Fragment von 14′). Das erste sei Kinugasas berühmtester Avantgarde-Film – entstanden, nachdem er bereits mehr als dreissig kommerzielle Filme gemacht hatte. Überlebt hat dieser unglaubliche Film nur zufällig: 1971 fand Kinugasa in seinem Schuppen einen 35mm-Print. Seither wurde er v.a. in s/w-Kopien gezeigt, doch die restaurierte Fassung, die in Bologna zu sehen war, basiert auf dem Print, den Kinugasa fand, und der blau eingefärbt war. Damit war die Originalversion zu sehen – im Gegensatz zu späteren Tonversionen, bei denen die Bildratio verändert (um Platz für die Tonspur zu machen) und die blaue Einfärbung entfernt wurde. Die Retros (Kinugasa und Mamoulian, auch letztes Jahr Fregonese schon) liefen vollständig in den grossen Sälen ausserhalb der Cineteca – also gab’s auch hier wieder das seltsame digitale Klavier. Doch Meg Morley setzte als erste die Synthesizersounds ein, die das Instrument auch bietet: Cembalo, Orgel, Rhodes, aber auch typische 70er-Synthesizer-Sphärenklänge. Damit untermalte sie den irren Bilderreigen des alles andere als linear erzählten Filmes, dessen Plot es eher zu erahnen galt. Kinugasa sagte später, den Film habe er aus dem grossen Bedürfnis heraus gemacht, wenigstens einmal einen Film „free from anyone’s control“ zu machen. Er durfte dennoch die Studios von Shochiku in Kyoto nutzen und wurde von ihnen auch finanziell unterstützt. Der Film basiert auf einer Geschiche von Yasunari Kawabata (1899-1972), der 1968 den Literaturnobelpreis gewissen sollte, ind en Zwanzigern aber noch ein Nachwuchstalent war. Bilder aus der Anstalt, in der die Frau eines von Schuldgefühlen zerfressenen, dort als Hausmeister anheuernden Mannes haust, dazu nicht nur zum Einstieg ein schnell geschnittener, äusserst filmischer Reigen von abstrakten (oder konkreten, abstrakt wirkenden) bewegten Bildern. In einer zeitgenössischen Kritik stand, der Film sei „the first filmlike film made in Japan“, seine Schönheit sei „neither theatrical nor novelistic nor painterly; it is cinematic beauty.“</p><p>Nachtrag: „Oni Azami“ ging mir zunächst unter – das war nach dem genialen Hauptfilm eine seltsame, unglücklich platzierte Fussnote. 14 Minuten Fragmente (mit serbischen Zwischentiteln) aus einem der vielen verlorenen kommerziellen Filme Kinugasas, in diesem Fall besonders, weil der Film den ersten Auftritt des damals erst 19jährigen künftigen Stars Chojiro Hayashi (1908-1984) bei Kinugasa dokumentiert, der auch in „Yukinojo henge“, „Daibutus kaigen“ (s.o.) zu sehen ist, sowie im vor ein paar Jahren in Bologna gezeigten, leider nicht wiederholten und mir unbekannten, vielleicht berühmtesten Film Kinugasasas, „Jigokumon“. Sein Spiel sei von „sweetness and even vulnerability“ ebenso geprägt wie von seinen Fähigkeiten beim Umgang mit dem Schwert. Das kann ich soweit v.a. auf Basis von „Yukinojo henge“ definitiv unterschreiben!</p><p>Fortsetzung folgt… (zu <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/il-cinema-ritrovato-24-june-2-july-2023.html">Teil 1</a> / zu <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/il-cinema-ritrovato-bologna-24-june-2_17.html">Teil 3</a>)</p>ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-45887032436044501742023-07-17T12:33:00.004+02:002023-07-18T12:41:09.122+02:00Il Cinema Ritrovato, Bologna, 24 June - 2 July 2023 - XXXVII edizione (1/3)<p> </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhLTNDfT7Pzx410h8AkXXGeP9rQLQLtCEaWU1RbkMWcdzM67ajixa2Qsqh1M413berJbLZ33_nD4tLqQI7ZcoYpq1rvciHbH1lGrkurrzDXLXvwbxxCpVzL_lKlOyClG74N3HWpU8TlbDqXbK8U4cUCP4xOfLA4tC4ENkP-NzivSHo-WlFBEmlZlYFxLF4" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="" data-original-height="3024" data-original-width="4032" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhLTNDfT7Pzx410h8AkXXGeP9rQLQLtCEaWU1RbkMWcdzM67ajixa2Qsqh1M413berJbLZ33_nD4tLqQI7ZcoYpq1rvciHbH1lGrkurrzDXLXvwbxxCpVzL_lKlOyClG74N3HWpU8TlbDqXbK8U4cUCP4xOfLA4tC4ENkP-NzivSHo-WlFBEmlZlYFxLF4=w640-h480" width="640" /></a></div><br /><p></p><p>Zum ersten Mal war ich dieses Jahr für die ganze Länge beim Il Cinema Ritrovato in Bologna dabei – „Cinephile’s Heaven“, wie die dritte Hauptsektion des Programmes überschrieben ist. „The Time Machine“ und „The Space Machine“ heissen die beiden anderen Sektionen, dazu gab es wieder einige Special Events, zudem auch Vorträge und ein paar Ausstellungen.</p><p>In „The Time Machine“ gab es eine Reihe zum Jahr 1903 und die Fortsetzung von „Cento anni fa“, was dieses Jahr 1923 bedeutete, zudem eine Reihe mit Filmen russischer Diven in Italien, eine Reihe mit Dokumentarfilmen und nicht zuletzt das „Samama Chikli Project“.</p><p>Unter „The Space Machine“ liefen eine Retrospektive von Teinosuke Kinugasa, die regelmässige „Cinemalibero“-Reihe, Filme von Elfi Mikesch, Leopold Lindtberg und eine Reihe mit deutschen Komödien aus dem Exil („The Very Last Laugh: German Exile Comedies, 1936-1936“).</p><p>Im „Paradiso dei cinefili“ gab es dann eine Menge restaurierter und ausgegraberner Filme („Ritrovati e ristorati“ bzw. „Recovered and Restored“), eine Reihe mit Filmen mit Anna Magnani, die Retro von Rouben Mamoulian, eine Reihe mit Filmen, bei denen Suso Cecchi d’Amicho mitgewirkt hat, „Powell before Pressburger“, eine Reihe mit 16mm-Filmen, sowie eine Reihe für Kinder.</p><p>Ein irres Programm mit über vierhundert Vorstellungen auf sechs Leinwänden, verteilt über neun Tage. Viel zu viel, um auch nur annähernd alles gucken zu können, zudem je nach Dauer der Filme auch etwas zu eng getaktet, um es in jedem der Slots rechtzeitig in einen der anderen Säle zu schaffen. Drei der Säle bzw. zwei Kinos und eine Mischung aus Kino und Vorlesungsraum (dort liefen Dokumentarfilme oder eben die Vorträge, von denen ich spontan doch noch einen erwischte) finden sich auf beim Cinema Lumiere, das zur Cineteca gehört, dazu werden drei Säle in der Stadt bespielt, abends kommen das grossen Open Air auf der Piazza Maggiore (Cinema sotto le stelle, läuft über mehrere Wochen bei freiem Eintritt) sowie ein kleineres Open Air beim Cinema Lumiere dazu.</p><p>Da die meisten Filme nur ein-, manchmal zwei- oder allerhöchsten dreimal gezeigt werden, muss eine Auswahl getroffen werden – für die kleineren Säle am besten mit Reservation im Voraus. Ich habe praktisch alles im Voraus gebucht, aber mein Programm mehrere Male revidiert, weil bereits ausverkaufte Vorstellungen wieder in den Verkauf gelangten oder mich was anderes als ursprünglich geplant doch mehr interessierte.</p><p>Das Programm ist grob so gestaltet, dass es zwei morgendliche Slots gibt, ca. um 9 und 11 Uhr. Dann geht es mit drei nachmittäglichen weiter, ca. 14:30, 16:30 und 18:30, bevor es um 21:30 herum in die letzte Runde geht. Dazu kommen aber immer auch kürzere Vorstellungen, die parallel laufen, und in einem der drei grösseren Säle lief die Abendvorstellung stets schon um 20 oder 20:30 Uhr. Das ist dann auch das Kino, in dem es um 22 oder 22:30 Uhr noch eine weitere Vorstellung zu sehen gab (wobei ja schon die ab 21 Uhr parallel zu den Open-Air-Screenings liefen).</p><p>Zum Thema „ausverkauft“ muss angemerkt werden, dass es für jede Vorstellung eine „last minute“-Schlange gab und die Leute, die sich dort anstellten in den allermeisten Fällen auch alle noch in den Saal gekommen sein dürften. Das alles (reservieren, last minute) geht nur noch mit Festivalpass, letztes Jahr konnte ich noch ohne fast die ganzen Retro von Hugo Fregonese besuchen. Das System finde ich etwas mühsam, aber das Publikumsaufkommen wie es scheint so gross wie noch nie war, ist es wohl vertretbar, auch wenn in den grossen Sälen (den Kinos Jolly und Arlecchino) gerne ein paar Dutzend Plätze frei blieben (auch, weil für die Supporter mit teuren Pässen stets Kontingente freigehalten werden, und wohl auch noch welche für diejenigen mit Festivalpass, die mit dem Online-Buchungssystem nicht klarkommen und beim Schalter in der Cineteca ihre Karten lösen).</p><p>Da ich seit inzwischen einem Dutzend Jahren fast nicht mehr ins Kino gehe, habe ich es wahnsinnig genossen – und es in den neun Tagen auf 45 Vorstellungen plus einen Vortrag gebracht. Drei bis sechs Vorstellungen pro Tag – meistens vier oder fünf, darunter oft auch kürzere Filme oder Programme mit Kurzfilmen, die nur eine Stunde dauerten. Und klar: ich hab im Lauf der Tage ein wenig ausgedünnt … aber da ich allein unterwegs war habe ich es so sehr ausgekostet, wie ich konnte (und wollte). Und kurzum: es war grossartig und ich bin nächstes Jahr wenn irgendwie möglich bestimmt wieder dabei!</p><p>Vollständiges Programm (auch als PDF) sowie den Katalog (als PDF – mit dem Festivalpass kriegt man die Printversion vor Ort, zusammen mit einer Stofftasche, alles mit dem Motiv aus „Quién sabe“ dieses Jahr) gibt es auf der Website:<br /><a href="https://festival.ilcinemaritrovato.it/en/">https://festival.ilcinemaritrovato.it/en/</a></p><p>Die Zitate im folgenden stammen aus dem Programmheft („Heft“ … ca. 20 x 25 cm und fast 450 Seiten).</p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiCyD8Z0vJlMRdDk5VUMDftdowsBUEIclZTJg4Zlcd_fm-I8qvC-vpDJ2I7nkgfWCB9KC0Zv1aj_ZUowYFbC1EHOaslS30u-ZOImlfXRQrcHk4rSqlkXey4OjHxwVk0DE6aYDHu2bDknJmxgJIUezVfmtS6oR16O5QYpbpCGzLE-nWtfvhJE53O5CgDGic" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="" data-original-height="1247" data-original-width="1663" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiCyD8Z0vJlMRdDk5VUMDftdowsBUEIclZTJg4Zlcd_fm-I8qvC-vpDJ2I7nkgfWCB9KC0Zv1aj_ZUowYFbC1EHOaslS30u-ZOImlfXRQrcHk4rSqlkXey4OjHxwVk0DE6aYDHu2bDknJmxgJIUezVfmtS6oR16O5QYpbpCGzLE-nWtfvhJE53O5CgDGic=w640-h480" width="640" /></a></div><br />Los ging es am Freitag (23. Juni), vor dem eigentlichen Festivalbeginn, auf der Piazza mit LA NUIT DE VARENNES (Ettore Scola, FR/IT, 1982) – ein frei erfundenes, äusserst wortreiches Historiendrama um die frz. Revolution mit einem Staraufgebot, nicht zuletzt Marcello Mastroianni als alter Casanova. Scola meinte zum Film: „So what the characters are talking about is relevant to what is going on now: there are intellectuals, reactionaries, progressives and idiots, just like today.“ Ein sehr vergnüglicher Einstieg, wenngleich nicht ohne Längen.<p></p><p>Am Samstag (24. Juni) konnte ich für die offizielle Festivaleröffnung um 12 Uhr noch einen Platz ergattern – es gab nach ein paar Ansprachen einen wilden Mix aus meist sehr kurzen Stummfilmen, ich liess das Handy mitlaufen, aber war bisher zu faul, rauszuschreiben, was da gezeigt wurde. Daniele Furlati begleitete am (leider) digitalen Klavier (leider, weil das Ding anscheinend keinen differenzierten Anschlag und relativ wenig Dynamik erlaubt – auch in leiseren Passagen klang alles wie gehämmert).</p><p>Dann ging es weiter zum ersten Film, den ich aus dem so üppigen Programm gewählt hatte, YAM DAABO (Idrissa Ouédraogo, BF, 1986) – wunderbar! Die Geschichte einer Familie, die nicht einfach in die Stadt ziehen will, sondern in eine andere Gegend zieht und einen Neuanfang wagt. Beim Gang in die Stadt, um den Eselwagen zu verkaufen, wird der jüngste Sohn von einem Auto überfahren – doch es muss weitergehen. Nicht nur ein Familiendrama voller wahnsinnig schöner Bilder – Landschaften, Close-Ups von Gesichtern etc. – und mit einer Einführung von Aboubakar Sanogo (von der FEPACI, der Fédération Panafricaine des Cinéastes), die ein flammendes Plädoyer für Ouedrago war.</p><p>Es folgte die erste Mamoulian-Vorstellung, THE FLUTE OF KRISHNA (Rouben Mamoulian, US, 1926) sowie APPLAUSE (Rouben Mamoulian, US, 1929). Den ersten Gehversuch Mamoulians hinter der Kamera aus dem Mai 1926 zeigt eine Choreographie von Martha Graham und ein neues Zwei-Farben-Verfahren von Eastman, Stephen Horne begleitete den Film an der Querflöte. ZU sehen sind drei spärlich bekleidete Tänzerinnen, dann taucht eine vierte mit einem Stock auf, die anderen verschwinden, die mit dem Stock wird ohnmächtig – hat Krishna sie überwältigt? Eine Kuriosität, die nicht wirklich auf „Applause“ vorbereitete, eine Mischung aus Backstage-Musical und New York-Film (inkl. on location-Drehs, nicht zuletzt auf der Brooklyn Bridge, für Jazzköpfe natürlich für immer mit Sonny Rollins verbunden). Eine sentimentale Geschichte über – wie man heute sagt – einen toxischen Mann, Produzent, Zuhälter, eine ihm ergebene, ausgelieferte Burlesque-Tänzerin und deren Tochter, die eigentlich von dem Milieu ferngehalten wurde, ihm aber doch nicht entkommen kann. Ein furioses Debut, in dem bereits die irren und oft symbolisch aufgeladenen Schnitte zu bewundern sind, die Mamoulians Filme prägen und oft Gegensätze von hoch und tief (die Garderoben oder der Orchestergraben im Variété vs. die Spitzen von Wolkenkratzern) ins Bild setzen, ebenso wie die manchmal völlig entfesselte Kamera. Dass manchmal über weite Strecken keine Dialoge nötig sind zeigt, wie gut Mamoulian rein in Bildern erzählen kann.</p><p>Direkt im Anschluss auch gleich der Einstieg in die Retro von Kinugasa mit DAIBUTSU KAIGEN (Teinosuke Kinugasa, JP, 1952), einem etwas langen und zähen Drama über die Errichtung einer gigantischen Buddha-Statue, angesiedelt in der Nara-Periode (710-784 – Wiki-Eintrag zur echten). Alexander Jacoby und Johan Nordström waren hier zum ersten Mal mit einer exzellenten Einführung zu hören – die mir sicherlich half, den Film etwas besser zu verstehen.</p><p>Die Spätvorstellung gab’s dann – wie meistens – nicht auf der Piazza (zum kleinen Open Air habe ich es gar nie geschafft) sondern im Kino, meist im ziemlich leeren Saal (die Vorstellungen beginnen in der Regel um 21:30, das Open Air um 21:45, aber wenn man auf einem Stuhl sitzen will, sollte man deutlich früher vor Ort sein – oder man stellt sich in die Last-Minute-Schlange für Leute mit Festivalpass). A WOMAN OF PARIS (Charles Chaplin, US, 1923) hatte ich mir ausgesucht, den ersten Film, den Chaplin machte, nachdem er 1923 endlich – vier Jahre nachdem er United Artists mitgegründet hatte – einen Film nach seinen eigenen Regeln drehen konnte. Ein Melodram, das tragikomische Züge trägt, oft bezaubernd leicht ist und mit einem irrsinnig guten Timing glänzt. Besonders an der in Bologna zu sehenden Version war, dass sie neuer Musik versehen war: Chaplin hinterliess keine fertige Musik mehr für den Film, der Score von 1977, als der Film neu aufgelegt wurde, kommt mit wenig Material aus, das vermutlich von Eric James aufs Maximum zerdehnt wurde. Dass Eric Rogers bei der Orchestrierung aushalf, ohne Chaplins Musik zu kennen, half vermutlich auch nicht. Vor ein paar Jahren tauchten dann 19 Stunden Heim- und Studioaufnahmen von Chaplin am Klavier auf, die bis 1951 zurück reichen und teils an Mitarbeitende zur Transkription weitergereicht wurden. Timothy Brock bediente sich bei diesen zu weiten Teilen nie aufs Papier gebrachten Aufnahmen und stellte daraus einen wunderbaren Score für „A Woman of Paris“ zusammen, zwischen Salonmusik und leichter Klassik, mit einem prominenten Klavier, dazu Harfe, Celesta, ein paar Streicher, einige Bläser, darunter – passend zu einer Szene im Film – auch ein Saxophon.</p><p>Am Sonntagmorgen (25. Juni) verpasste ich die Chance, „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ zu sehen – fuhr stattdessen mit dem Bus raus zum MAST, wo es eine grossartige Ausstellung zu sehen gibt mit Fotos von Andreas Gursky (von ihm selbst und dem Direktor des MAST co-kuratiert). Der Kinotag ging dann erst um 14:30 los mit ELDRIDGE CLEAVER (William Klein, DZ/FR, 1971) einer Mischung aus Agit-Prop und Dokumentarfilm, entstanden am Rand des Festival Panafricain d’Alger. Das war meine erste Vorstellung aus der 16mm-Reihe, eine fragile Kopie, die aus dem Nachlass das Schauspielers Gérard Rinaldi (1943-2012) an die Cinématheque16 überging. Eine Kopie allerdings, die in ihrer Materialität – die Körnigkeit, die Farben – sehr beeindruckend anzuschauen ist, mit Ektachrome gefilmt, die Untertitel eingebrannt, französische Zwischentitel nachträglich eingefügt, und ab und zu sind auch noch handschriftliche Notizen für einen kurzen Augenblick zu sehen.</p><p>AMOK (Fëdor Ocep, FR, 1934) war mein nächster Film, ein langer Fiebertraum nach Zweigs Novelle. „Amok is a Malay word describing a paroxysmal state of fury induced by opium“ – und das stellt der Film in den ersten zehn Minuten eindrücklich dar. Der Dschungel Malaysias wurde im Studio nachgebaut – was allerdings überaus eindrücklich gelang. Der gefallene, dem Alkohol verfallene Arzt im Exil (Jean Yonnel), der den oder bei dem der Amok stoppt, kriegt Besuch von einer weissen Frau – und da zeigt der Film sein leider überaus rassistisches Gesicht: „une vraie femme … une femme blanche“, sagt der Arzt staunend – , die ihn für eine Abtreibung aufsucht, weil niemand in der Stadt davon wissen soll. Der Arzt – beleidigt von ihrem Angebot, er fühlt sich herablassend behandelt – lehnt ab, bemüht sich danach aber, den Ruf der Frau zu schützen, die den Eingriff mit tödlichen Konsequenzen bei einer illegalen lokalen „Engelmacherin“ durchführen lässt, derwiel der Ehemann fast schon von seiner langen Reise zurückgekehrt ist … ein starker Film mit einem äusserst unschönen Beigeschmack.</p><p>Weil Carlo Chatrian bei seiner Einführung für „Rio Bravo“ ins Labern gekommen war, begann mein nächster Film eine halbe Stunde verspätet, CRY, THE BELOVED COUNTRY (Zoltán Korda, GB, 1951) – doch das Warten (es gab einen Spaziergang und ein Gelato) sollte sich lohnen. Korda sei der Regisseur, der wie kein anderer Filmemacher alle Ecken des British Empire abgegrast habe. „Cry“ drehte er in Südafrika, dokumentiert dabei unbehindert von den imperialistischeren Ansichten seines Bruders Alexander (neben Zoltán und Drehbuch-Co-Autor Alan Paxton Co-Produzent) das Leben im von der Apartheid getrennten Land. Dass die beiden Hauptdarsteller aus einem Land mit einem ganz ähnlichen rassistischen System stammten, gibt dem Film zusätzliche Würze: Canada Lee und Sidney Poitier mussten als ihre Visa als „domestic servants“ von Korda beantragen, um ins Land zu gelangen und an der Seite von Korda und dem weissen Teil des Cast und der Produktionscrew arbeiten zu können. Ein Film, der unzweifelhaft eine Anklage gegen Rassismus (nicht nur in Südafrika) und gegen die Unterdrückung und das Elend, das der Kolonialismus mit sich brachte, darstellt. Dass Teile des Films on location in den Slums um Johannesburg gefilmt wurden ist natürlich besonders bemerkenswert, dass zudem manchmal Musik aus dem damaligen Südafrika erklingt ebenfalls toll (leider gibt es keine Details dazu in den Credits, Raymond Gallois-Montbrun hat den Hauptteil des Soundtracks komponiert – geboren 1918 in Saigon passt denn auch in die Kolonialzeit).</p><p>Ein überaus gelungener und sehr breiter Einstieg bis dahin, womit ich bereit war für den ersten richtig heftigen Kino-Tag, Montag 26. Juni. Um 9:15 guckte ich das Programm „Le attuatlità senegalesi“ mit vier kurzen Dok- bzw. Nachrichtenfilmen, die 2017 im verlassenen Gebäude des ehemaligen Informationsministeriums in Dakar gefunden wurden: LE SÉNÉGAL ET LE FESTIVAL MONDIAL DES ARTS NÈGRES (Paulin Soumaunou Vieyra, 1966, 28’), IFE / 3ÈME FESTIVAL DES ARTS (Vieyra, 1971, 13’), SÉNÉGAL AN XVI (Babacar Gueye, Orlando Lopez, 1976, 21’) und VOYAGE AUX ANTILLES DU PRÉSIDENT SENGHOR (Georges Caristan, 1976, 17’). In den ersten beiden Filmen wird eine neue urbane Modernität gefeiert in der Metropole, die jetzt vom Joch des Kolonialismus befreit in eine neue Zeit aufbricht – dabei wird moderne Architektur so toll ins Bild gesetzt wie die Kunst, die bei den Festivals, die als Aufhänger dienen, gezeigt und hergestellt wird. Ein Ausflug aufs Land ist auch drin, das ganze kommt im Wochenschau-Stil daher. Am Festival Mondial wirkten u.a. André Malraux, Duke Ellington, Langston Hughes, Josephine Baker oder Aimé Cesaire mit. Im zweiten Film sind u.a. Wole Soyinka und Ousmane Sembène zu sehen, von dem beim Festival „Ceddo“ und über den eine kleine Foto-Ausstellung gezeigt wurde – letztere habe ich angeschaut, den Film aber leider verpasst. Beim 16. Geburtstag unterstützte dann Nordkorea die Feierlichkeiten der senegalesischen „Demokratie“ – und dass da schon wieder etwas aus dem Lot war, konnte man sich auch angesichts der endlosen Paraden denken, die gezeigt werden. Neben dem Bericht über die Jubiläumsfeierlichkeiten (Sportanlässe, Militärparade, Abschlussevent im Präsidentenpalast) wurden dann auch noch Nachrichten gezeigt: der Besuch des ivorischen Präsidenten Félix Houphouët-Boigny im Elysée-Palast, um die Rolle Europas im postkolonialen Afrika zu besprechen, die Einflussnahmen der USA wie der Sowjetunion, ein Treffen mit Jacques Chirac. Dann folgte noch ein Bericht über ein französisches Patent für einen Impfstoff, mit dem bei einem Meningitis-Ausbruch in Brasilien rasch geholfen werden konnte (da stehen die Menschen dankbar in langen Schlangen an). Im letzten Film reisten wir dann mit Senghor durch die Antillen und feiern irgendwelche Völkerfreundschaften, besuchen das Set von Sembènes „Ceddo“ und die Eröffnung von „Ramsès le Grand“ im Pariser Grand Palais. Klar wird auch aus dieser Zusammenfassung, wie zentral Frankreich auch im Jahr XVI noch war.</p><p>Mit PROCESSO ALLA CITTÀ (Luigi Zampa, IT, 1952) sah ich danach einen (einzigen) Film aus der Reihe, die Suso Cecchi d’Amico gewidmet war. Ein früher, eindrücklicher und eindringlicher Spielfilm über die Mafia. Es war 1952 noch nicht denkbar, ihn über die Camorra der Gegenwart zu drehen, also wurde er im Neapel von einigen Jahrzehnten davor angesiedelt. Die Mafia ist eine parasitäre Bürgersgesellschaft, die ausbeutet und mordet, deren Netz durch die ganze Gesellschaft geht und auch die Polizei beinhaltet, die gemeinsam mit der Hauptfigur, einem unerschrockenen Richter, der am Ende völlig allein da steht, zu ermitteln vorgibt, aber in Wahrheit nichts anderes als zu vertuschen sucht, Sündenböcke organisiert – und dabei in den Logen in der Oper sitzt, wo sich die jüngsten Neuigkeiten natürlich blitzschnell verbreiten. „Perhaps the best screenplay I ever wrote is the one for Processo alla città. It is a really beautiful screenplay … Zampa is an underrated director. I think he played an important role. I have always admired his ability to make our stories relevant, all the while often placing them within the context of entertaining comedies. He was a director whose style was less artistic than some of those who followed, but his strengths are indisputable“ (Suso Cecchi d’Amico).</p><p>Weiter ging es am Nachmittag mit PROSOPO ME PROSOPO (Roviros Manthoulis, GR, 1967), für den die angekündigte Einführung leider entfiel. Ich habe von Manthoulis noch nie gehört, fand den Film enorm beeindruckend. Sehr Sixties, in bestechenden s/w-Bilden fotografiert, oft sehr cool – und zugleich zeigt der Film wiederum eine skrupellose, amoralische Elite in Form einer Familie, die sich selbst permanent überwacht und in die quasi als Vertreter des Publikums ein Aussenseiter als Englischlehrer der Tochter eindringt … oder eher, so scheint es die Familie zu planen: sich einnistet und kleben bleibt in der Falle. Kafkaeske Momente also immer wieder, am Ende eine Befreiung, wenn der Protagonist sich heroisch losreisst und seine Arbeiterklassen-Maskulinität zurückerobert, die ihm von den neuen Barbaren (die Tochter heisst Barbara) davor genommen wurde. Der Film gewann 1966 ein paar Preise, wurde natürlich nach Beginn der Militärdiktatur verboten. Was mögliche Lesarten angeht bin ich mir überhaupt nicht sicher (auch die Sache mit der Maskulinität – heute in der Form zum Glück aus der Zeit gefallen … eben: schade entfiel die Einführung, die Maria Komninos vom griech. Filmarchiv hätte halten sollen).</p><p>Der nächste Film war laut. Irre. Und irre laut! THE PLOT AGAINST HARRY (Michael Roemer, US, 1971/1989). Roemer war im Rahmen der „Ritrovati e Restaurati“-Reihe ein kleiner Schwerpunkt gewidmet, nebst den Filmen, die ich hier erwähne, lief auch noch „Nothing But a Man“ von 1964 mit Abbey Lincoln, den ich schon kannte, wenngleich nicht aus dem Kino … aber solche Überlegungen spielten halt bei der persönlichen Programmgestaltung eine Rolle, angesichts des unglaublichen Reichtums des Gebotenen). Harry Plotnick ist ein wahnhafter jüdischer Mobster, der am Anfang des Filmes aus dem Gefängnis kommt und sich darum bemüht, wieder Anschluss zu finden. Der Film, „animated by documentary flair that captures both New York’s simmering multi-ethnic melting post as well as remarkable images of a now lost world“, präsentiert eine Reihe grossartiger Szenen, nicht zuletzt aus einem Catering-Unternehmen, einem Golfclub direkt neben einem mehrspurigen Highway (der Film ist LAUT! Mir pfiffen wirklich die Ohren nach den 80 Minuten), jüdische Familienfeste, Lingerie-Modeschauen etc. Roemer hat dafür lange recherchiert und gleich ein Jahr bei einem jüdischen Catering in Long Island gearbeitet. Das Ensemble besteht zum allergrössten Teil aus Laien-Darsteller*innen. Und der ganze Film ist so komisch wie er laut ist (also irre komisch) – und klar, Harry geht einer grossen Verschwörung auf den Leim, aber das spielt eigentlich am Ende gar keine so grosse Rolle mehr. Ein irres Vergnügen!</p><p>Und danach war’s noch nicht mal Zeit für die kurze Abendessen-Pause. Es ging mit YUKINOJO HENGE (Teinosuke Kinugasa, JP, 1935) weiter, in dem ein Kabuki-Schauspieler, der (wie früher Kinugasa) auf Frauenrollen spezialisiert ist („onnagata“), sich an den beiden Bösewichten rächt, die einst seine Eltern in den Ruin und in den Selbstmord getrieben haben. Der Film blieb für mich streckenweise undurchdringlich und rätselhaft, auch über die langen Szenen aus dem Theater hinaus – wo der Hauptdarsteller ein gefeierter Star ist, der nach langer Zeit wieder in seine Heimatstadt zurückkehrt, dem Ort des einstigen Geschehens – wirkte das zu Sehende oft äusserst theatralisch und ja: manchmal wie abgefilmtes Theater. Das ist um so erstaunlicher angesichts der Stummfilme Kinugasas (s.u.), aber natürlich auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass das genau so sein sollte. Dass das ganze auch noch ein das steife Korsett einer Rahmenhandlung gepackt wurde, machte die Sache nicht besser. Dafür gab es wunderbar poetische Szenen und einige tolle Martial-Arts-Einlagen. Eine der besten kombinierte beides, eine der grossen Racheszenen gegen Ende, ein Schwertkampf des Helden mit zwei Kontrahenten in einer leeren Nebel-Studiolandschaft, die gar nicht erst versucht, wie eine realistische Landschaft auszuschauen. Da überwindet der Film dann doch wieder alles, was ihn sonst schwerfällig und steif macht.</p><p>An dem Abend musste ich dann wieder auf die Piazza (und verpasste deswegen Peckinpahs „Cross of Iron“, den ich schon sehr gerne mal noch sehen würde): da gab es STELLA DALLAS (Henry King, US, 1925) mit Live-Begleitung durch das Orchestra del Teatro Comunale unter der Leitung von Timothy Brock (er ist in dieser Rolle wohl seit Jahren dabei, ich war 2016 schon auf der Piazza, als das TCB-Orchester und Brock einen Chaplin-Klassiker begleiteten). Die neue Musik von Stephen Horne fand ich leider eher belanglos – durchaus nett anzuhören, aber das plätscherte halt so dahin (nach dem tollen Chaplin-Soundtrack von Brock davor war halt der Kontrast auch gross). Den Film fand ich jedoch umwerfend – ein Drama um eine eigenwillige, unabhängige und doch irgendwie gefangene Frau, die irgendwann merkt, dass sie sich zurückziehen muss, damit ihre Tochter ein eigenes Leben leben kann. Lustig, tragisch, voller wunderbar zarter Bilder und Szenen, mit einem grandiosen Highlight gegen Schluss, wo Stella im Regen am Zaun steht und von draussen die Hochzeit ihrer Tochter beobachtet – bis ein Polizist sie unsanft wegschubst und zum Weitergehen auffordert. „We are stirred into sympathy with all these people because we cannot help identifying with them“, zitiert das Programm eine zeitgenössische Kritik: „the whole picture is so full of the half-tones of which ordinary life is composed.“</p><p>Fortsetzung folgt … zu <a href="http://ubus-notizen.blogspot.com/2023/07/il-cinema-ritrovato-bologna-24-june-2.html">Teil 2</a></p>ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0Bologna, Metropolitan City of Bologna, Italy44.494887 11.342616316.184653163821153 -23.8136337 72.805120836178844 46.4988663tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-75937085634743133642017-09-20T14:37:00.000+02:002017-09-23T14:38:19.109+02:00Sheila Jordan - Moods, Zürich - 19. September 2017<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_Ezn-NX7BFg1btppxxAT4xWDeS01GlIDtlYs8fITaR04YAglUXTLaptpo2bpL-0gHLbPVErvsFq2BKNOByfFKDRE3r4i_4lZv7vihF1y-7FCY17kLMUkj3txuffzKevFoAXkEYKFJibvw/s1600/SheilaJordan_Moods_Zurich_20170919_213021.jpg" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="319" data-original-width="567" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_Ezn-NX7BFg1btppxxAT4xWDeS01GlIDtlYs8fITaR04YAglUXTLaptpo2bpL-0gHLbPVErvsFq2BKNOByfFKDRE3r4i_4lZv7vihF1y-7FCY17kLMUkj3txuffzKevFoAXkEYKFJibvw/s1600/SheilaJordan_Moods_Zurich_20170919_213021.jpg" /></a></div>
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Sheila Jordan (voc), Renato Chicco (p), Peter Herbert (b)<br />
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Gestern im Moods in Zürich die grosse Sheila Jordan Show … nach zehn Jahren und ein paar Wochen vor ihrem 89. Geburtstag ist sie immer noch ziemlich fit – vor allem stimmlich. Die Intonation ist schwer und sehr eigen, die Stimme tiefer geworden und oft mürbe wie jene der späten Billie Holiday, aber dann setzt sie einen Schnörkel und zieht ihn in die Höhe, auch der Wechsel in die Kopfstimme funktioniert noch leidlich gut. Aber all das spielt ob ihrer Ausstrahlung überhaupt keine Rolle, sie hat den Raum sofort im Griff, ein paar launische Ansagen, ein paar Textzeilen, die sie so ähnlich wohl immer wieder bringt, aber den Abenden, den Orten, den Räumen anpasst. Spätestens im zweiten Song ist auch der letzte Zweifel verflogen.<br />
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Die Band macht einen sehr guten Job, auch wenn Chicco gewiss kein charismatischer Pianist ist und seine Beiträge waren oft eher Atempausen für Jordan als wirklich anregende Soli, Herbert machte am Bass einen sehr guten Job und zusammen swingte das auch ohne Schlagzeug mehr als ordentlich. Bei der Art und Weise, wie Jordan phrasiert, ist es auch gewiss nicht einfach, diesen gemeinsamen Swing über den ganzen Abend aufrechtzuerhalten. Es gab Standards und alten Pop wie „It’s You or No One“, „How Deep Is the Ocean“, „All Or Nothing at All“, ein <i>native american</i> Intro (auf den Alben heissen diese Stücke „Child Song“, „Little Song“ oder ähnlich) führte direkt über in „The Moon Is a Harsh Mistress“, den Opener ihres Debut-Albums „Falling in Love with Love“, Abbey Lincolns „Bird Alone“, sie sang im ersten Set eine grossartige langsame Version von „Oh Lady Be Good“ als Hommage an Ella Fitzgerald, erzählte und sang ihre Stories über die Begegnungen mit Lennie Tristano und vor allem mit Charlie Parker („Confirmation“ und wenigstens noch ein eigenes Stück und auch eingestreutes in ihren improvisierten eigenen Strophen) – und natürlich fehlte weder ihre umgewandelte (weibliche) Version von „Dat Dere“ (im zweiten Set im Duo mit Herbert) noch gegen Ende des zweiten Sets „Sheila’s Blues“.<br />
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Die beiden Sets dauerten je eine gute Stunde – und am Ende des zweiten, das gebührend mit einem Single Malt begossen wurde, hatte ich tatsächlich einmal Tränen in den Augen. So grossartig war dieser Auftritt, dass tatsächlich keine Fragen offen blieben und sich das dieses unfassbare Gefühl einstellt, in dem man alles begriffen hat und eigentlich gar nichts mehr will.<br />
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„Sheila’s Blues“ von 2012 (so gut wie das Piano-Solo hier war Chicco dann aber locker auch … aber in dem Stück spielte er wohl auch sein bestes des Abends)</div>
<br />ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-41603212028733311452017-09-11T14:40:00.000+02:002017-09-23T14:41:20.637+02:00Doric String Quartet – Kirche St. Peter, Zürich – 10. September 2017Alex Redington violin<br />
Jonathan Stone violin<br />
Hélène Clément viola<br />
John Myerscough cello<br />
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<b>Haydn</b>: Streichquartett C-Dur op. 20/2<br />
<b>Schubert</b>: Streichquartett G-Dur D 887<br />
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Völlig unverhofft kam ich für das gestrige Konzert des Doric String Quartet kurzfristig zu einer Freikarte (für Abonnenten der Hochuli-Konzerte – in meinem Fall die <a href="https://www.hochuli-konzert.ch/pages/neue-konzertreihe-zurich-2017-18" target="_blank">Tonhalle-Reihe</a> – gab es zum Saisonstart eben Freikarten, die man allerdings vor einiger Zeit hätte bestellen müssen). Die Gelegenheit, ein Streichquartett in Aktion zu sehen hatte ich erst selten: im Januar in Mailand das Takács Quartet, vor ein paar Jahren (mit einem Klarinettisten) das Hagen Quartett.<br />
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Das Doric Quartett war mir kein Begriff, doch der Bericht des Herrn neben mir, der seinen Begleitern von einem Auftritt vor ein paar Wochen erzählte, liess die Vorfreude wachsen. Los ging es mit Haydn – und wie schon beim Takács Quartet schien mir das zunächst eher eine Aufwärmübung. Auch das Adagio zog an mir vorüber, doch die abschliessende Fuge liess mich dann fast vom Stuhl fallen, so wundervoll wurde sie gespielt.<br />
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Dann Schubert – Musik, um alle Musik zu beenden, zumal die ersten beiden Sätze. Grossartig allein schon, dieses Werk einmal so vor sich entstehen zu hören. Gespielt wurde mit grosser Konzentration, aber zugleich ziemlich locker, mit einiger Freiheit im Gestus. Das gefiel mir sehr gut, führte da und dort aber zu kleinen Unstimmigkeiten, was dann in den etwas leichteren letzten beiden Sätzen manchmal etwas störend war. Da dünkte mich zudem auch die eine oder andere exponierte Stelke nicht ganz sauber ausgeformt. Aber den feinen Gesamteindruck schmälerte das nicht sehr.<br />
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Ein weiteres Abo für die <a href="https://www.hochuli-konzert.ch/pages/neue-konzertreihe-zurich-streichquartette-in-der-kirche-st-peter-2017-18" target="_blank">Streichquartett-Reihe</a> werde ich nicht anschaffen, aber vielleicht spontan noch das eine oder andere der Konzerte mitnehmen – und im allgemeinen versuchen, öfter Kammermusik im Konzert zu hören.<br />
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Eine ausführlichere Besprechung hat Peter Hagmann verfasst:<br />
http://www.peterhagmann.com/?p=1229ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-87679466581809178172017-09-03T16:08:00.003+02:002017-09-06T08:11:06.453+02:00Hans Koch/Manuel Troller, Kris Davis/Angelica Sanchez, Jacques Demierre/Urs Leimbgruber/Barre Phillips + Thomas Lehn – Jazzfestival Willisau – 2. September 2017<br />
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<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgz2t7BUwaOa3DV_LP4SjxsMkjcplbYv8R0SSfu1TAiENoP2epy3yETn7GATR4TcOVrNCdz82-CyePmuKhigT-XQvM2Mf_QWmy6MuVOMvNqhz-EVgwOGtwTGXVzfXc_gnNkJ3yMpS-euts/s1600/20170902_165225.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="900" data-original-width="1600" height="225" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgz2t7BUwaOa3DV_LP4SjxsMkjcplbYv8R0SSfu1TAiENoP2epy3yETn7GATR4TcOVrNCdz82-CyePmuKhigT-XQvM2Mf_QWmy6MuVOMvNqhz-EVgwOGtwTGXVzfXc_gnNkJ3yMpS-euts/s400/20170902_165225.jpg" width="400" /></a></div>
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Gestern endete mein persönlicher Festivalsommer mit einem guten, aber nicht herausragenden Tag in Willisau. Los ging er mit <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/patricia-kopatchinskaja-lucerne.html" target="_blank">Heinz Holliger und Patricia Kopatchinskaja</a> sowie der <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/camerata-zurich-thomas-demenga-thomas.html" target="_blank">Camarata Zürich und Thomas Demenga</a> in Luzern, weiter ebenda mit <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/monteverdi-lorfeo-adam-blazikova.html" target="_blank">Monterverdis L'Orfeo unter Gardiner</a>, dann ging es ans <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/meteo-mulhouse-music-festival-2017-23.html" target="_blank">Météo - Mulhouse Music Festival</a> und erneut nach Luzern, wo <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/patricia-kopatchinskaja-jay-campbell.html" target="_blank">Kopatchinskaja und Holliger</a> einmal mehr im Zentrum standen. Den Abschluss nun machten drei Konzerte in Willisau, von denen das dritte mit dem Besten gehörten in diesen zwei Wochen unbedingt mithalten konnte. Zunächst ging es um 11 ans Konzert der Reihe "Intimities", in der Solos, Duos oder eher etwas ruhigere Musik vorgestellt, dann um 14 Uhr ans Nachmittagskonzert mit zwei Gruppen. Dass ich den Tag nicht super fand hatte am Ende wohl weniger mit der Musik zu tun als mit der Atmosphäre, die mir in Willisau einfach nicht so richtig passen will - das war letztes Jahr beim <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2016/09/jazzfestival-willisau-2016-john-zorn.html" target="_blank">Zorn-Marathon</a> etc. auch nicht grundlegend anders.<br />
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Schade, aber irgendwie habe ich in der Schweiz fast immer ein Problem damit, wenn Festbänke in Zelten stehen und Volksfeststimmung aufkommt. Wobei ich dieses Problem wohl auch anderswo hätte, aber gerade solche Stimmung kommt in Mulhouse nun echt nicht auf, wo das abendlich genutzte Festivalgelände etwas ausserhalb zwischen Tramdepot und Hôtel de Police findet, während in Willisau viele Anwohner des stockkonservativen Hinterlands den Samstag- und Sonntagnachmittag dort zu verbringen scheinen – im Zelt gibt es auch noch gefällige Musik von jüngeren Bands aus der Region, gestern war das Le Rex aus Luzern, ein Quintett mit Alt- und Tenorsax, Posaune, Tuba und Drums, die Hard Bop mit faux New Orleans-Einschlag spielten, alles etwas gar geschliffen, aber der Applaus war wohl grösser als fürs krönende Konzert der alten Herren am Schluss des Nachmittagsblockes. So ist das eben, und das mag ich nunmal nicht. Aber gut, zur Musik ...<br />
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<b>Hans Koch/Manuel Troller</b> – Los ging es um 11 Uhr im Dach des Rathauses mitten in der Altstadt - dass diese nicht autofrei ist, ist unverständlich (das Bild ganz oben entstand auf dem Heimweg, als ich vor dem Regen davonrannte, der mich kurz vor dem Bahnhof noch einholte, aber als der grosse Wolkenbruch kam, war ich schon im Schärme, wie man hier sagt). Hans Koch an der Bassklarinette und am Sopransaxophon (mit Effekten, die nie reisserisch eingesetzt wurden) und Manuel Troller an akustischer und elektrischer Gitarren fingen sehr leise aber höchst konzentriert an, sie schienen sich aneinander heranzutasten. Troller erwähnte nach dem Set, dass ihm dieser ruhige Einstieg sehr gut gefallen hatte, mir kam er etwas zu eng vor, als würden die beiden zu sehr aufeinander reagieren wollen, was die Entwicklung verlangsamte bzw. verunmöglichte, wenn es denn in extremis geschehen wäre - doch das geschah natürlich nicht, allmählich entwickelten sich Bögen, beide schöpften die klanglichen Möglichkeiten ihrer Instrumente aus, Troller hatte die Gitarre zunächst flach auf seinen Knien liegen und bearbeitete sie mit einem Bogen und anderen Utensilien, herkömmliche Gitarrentöne gab es im Verlauf des Sets zwar auch, aber nur Klangfetzen, einen Akkord, einzelne Töne, die ins Geschehen eingeworfen wurden, später im Set an der elektrischen Gitarre manchmal mit einer groben Wucht. Koch setzte vor allem die klanglichen Mittel der Bassklarinette in ihrer ganzen Vielfalt ein, liess sie summen, knurren, heulen und schreien, spielte mit Luftströmen, streckte ein anderes Mal das Sopransaxophon in die Höhe, um mit Speichelgeräuschen zu spielen (dasselbe sollte Urs Leimgruber im dritten Set auch wieder machen).<br />
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Ein feines, nachdenkliches und reichhaltiges Set zum Einstieg * * * *<br />
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<b>Kris Davis/Angelica Sanchez</b> – Um 14 Uhr ging es in der grossen Festhalle weiter, zwei längere Sets, die insgesamt mehr Musik boten als die etwas kurzgeratenen Dreierblöcke des Zorn-Marathons letztes Jahr (dort gab es jeweils dreimal 40 Minuten und fliegenden Wechsel, Drums und alles war für alle Gruppen aufgebaut, es mussten jeweils bloss vorne ein paar Stühle, Mikrophone und Notenständer umplaziert oder entfernt werden. Davis sagte Sanchez an, meinte, sie würden jetzt einfach mal eine Stunde spielen, ohne zu reden, und das geschah dann auch. Die beiden Flügel waren ineinandergeschoben, Davis sass rechts am vorderen, Sanchez links am hinteren. Zum Zuschauen etwas schwierig, auf die Hände sehen wäre höchstens von ganz hinten mit Fernglas gegangen (die Bühne ist hoch, die meisten Sitzreihen flach), zudem gab es von hinter der Bühne elend mühsames Licht (das auch die Handykamera völlig überforderte, wie man unschwer sehen kann). Immerhin sass ich zwischen den Photographen in der vordersten Reihe in der Mitte und konnte sie beide immer sehen. Sie gingen mit der Herausforderung – sich nicht in den Weg zu kommen und dennoch zusammen zu spielen – äusserst gekonnt um, mal wechselten sie kurze Phrasen, dass spielte eine nur mit der linken Hand in der tiefsten Lage, während die andere darüber improvisierte. Klanglich war Davis spitzer, Sanchez runder und weicher – was wenigstens teils an den Instrumenten gelegen haben mag, aber schon auch zu meiner Wahrnehmung der beiden passt – wobei ich Sanchez ja noch nicht sehr gut kenne. Die Musik war streckenweise wohl etwas gefällig, sie schienen vorbereitetes Material zu spielen, Kompositionen oder wenigstens Konzepte, die nie so eng wirkten wie jene, die mir letztes Jahr beim <a href="http://forum.rollingstone.de/foren/topic/2016-jazzgigs-konzerte-festivals/page/5/#post-9747237">Duo mit dem Zürcher Saxophonisten Christoph Irniger</a> sehr auf die Nerven gingen. die beiden waren mit höchster Konzentration bei der Sache, Sanchez hatte sehr oft ein Lachen im Gesicht und ganz offensichtlich gelang ihnen, was sie vorhatten. Eine kurze Zugabe spielten sie dann auch noch, Mich vermochte es nicht restlos zu überzeugen, aber auch das passt wieder ins bisherige Bild, denn so richtig komme ich ihnen beiden nicht auf die Schliche – aber ich bleibe dran! (Und würde Sanchez sehr gerne mal solo oder im Trio hören – aber ich glaube nicht, dass sie schon oft in Europa spielte.)<br />
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Fazit: * * * * bis * * * * 1/2<br />
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<b>Urs Leimgruber/Jacques Demierre/Barre Phillips + Thomas Lehn</b> – Nach einer halbstündigen Pause ging es weiter mit dem phänomenalen Trio Urs Leimgruber (ss, ts), Jacques Demierre (p) und Barre Phillips (b). Für das Konzert in Willisau stiess Thomas Lehn an analogen Synthesizern dazu – Skepsis war diesbezüglich fehl am Platz, bei mir hatte sowieso die Vorfreude überwiegt, dieses Trio – und Barre Phillips! – endlich einmal live erleben zu können. Die Klänge, die Lehn seinem Instrumentarium entlockte, fügten sich bestens in die Klangströme ein, die das Trio entfaltete. Es gab unglaublich leise Passagen (in denen die Photographen rund um mich herum mit ihrem Geklacker ziemlich nervig waren, aber sie gaben sich doch grosse Mühe, nicht zu stören), die allmählich in Klangwellen mündeten, die alles zu überrollen schienen und in denen die vier Musiker zu einer völlig organischen Einheit verschmolzen. Leimgruber kehrte ja spätestens mit der Reunion von OM, die auch in Willisau stattfand, auch wieder zum herkömmlichen Spiel zurück – davon war in diesem Konzert nicht viel zu hören, klar, aber dass es auch einbezogen wird, wenngleich nur in Fragmenten (ähnlich wie zuvor bei Koch/Troller) erweitert natürlich die eh schon unfassbare Klangpalette, die er zu bieten hat. Besonders freute ich mich aber darauf, Barre Phillips endlich einmal live zu hören. Ich hatte im Vorfeld gehört, er sei krank gewesen, hätte in der letzten Zeit einige Konzerte absagen müssen. Als ich früh auf meinen Platz zurückkehrte, war er dabei, sich aufzuwärmen, stand allein mit seinem Bass auf der grossen Bühne. Sein Spiel enttäuschte nicht, war aber klanglich fand ich eher bescheiden zu hören – das allerdings ist das Dilemma der ersten Reihe: die beiden Flügel zuvor hörte ich praktisch unverstärkt in echt, beim letzten Set klappte das mit Lehn und dem Bass natürlich nicht und der Sound des Basses litt ein wenig darunter. Aber nichtsdestotrotz, was die vier vorführten war freie Improvisation vom Allerfeinsten – es gab zärtliche Momente, leise, weite Bögen mit geschicktem Spannungsaufbau und -abbau, wilde Klangfluten, in denen man schier zu ertrinken drohte, immer wieder raffinierte Brechungen durch alle vier Beteiligten.<br />
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Grossartig, da kann es nur eine Bewertung geben: * * * * *<br />
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ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-59739152014834767862017-08-30T10:34:00.001+02:002017-09-03T11:07:39.403+02:00Météo – Mulhouse Music Festival 2017 – 23.-26. August 2017Wie letztes Jahr zog es mich Ende August ins Elsass, ans Météo Festival in Mulhouse. Das Fazit einmal mehr: grossartig! Gut möglich, dass ich diese Edition noch einmal eine Spur besser fand als die von 2016. Ich reiste wieder erst am zweiten Tag an (dem ersten mit vollem Programm), verpasste daher den Eröffnungsabend (auf dem Programm im Théâtre de la Sinne standen: MATTHEW SHIPP / EVAN PARKER „HOMMAGE À JOHN COLTRANE“ und MARC RIBOT’S CERAMIC DOG mit Shahzad Ismaily und Ches Smith). Stattdessen besuchte ich in Luzern die grossartige Aufführung von Monteverdis "L'Orfeo" unter der Leitung von John Eliot Gardiner.<br />
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<b>MERCREDI 23 AOÛT</b><br />
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<b>EVE RISSER SOLO </b>– Los ging es um halb eins, wie immer mit einem Solo-Konzert in der Chapelle Saint-Jean, das erste der vier Konzerte bestritt Eve Risser, meine Erwartungen waren hoch, wurden aber ein wenig enttäuscht, gerade auch im Licht der Solo-Konzerte der folgenden Tage. Sie mühte sich am präparierten Flügel ab, erst nach zehn oder fünfzehn Minuten gelang es, Bögen zu spannen, die halbwegs zu fesseln vermochten.<br />
Fazit: schön aber etwas zerfahren, etwas harmlos, * * *1/2<br />
Der Preis für die beste Arbeit am präparierten Klavier geht dennoch an Risser (vgl. Milesdavisquintet und Tony Buck/Magda Mayas).<br />
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<b>ALVIN CURRAN SOLO </b>– Die Elektro-Performance im Park (mit Kopfhörern im Liegestuhl sitzen und Musik von Kristoff K. Roll hören) liessen wir aus, weiter ging es um 17:30 im Temple Saint-Etienne, der grössten Kirche am zentralen Platz der Stadt mit Alvin Curran an der (dem?) Shofar sowie dem Synthesizer und diversen anderen Utensilien. Leider war das kein so richtig gutes Konzert. Manches sollte wohl witzig sein, Weniges war es auch, aber vieles war eher etwas abgedroschen und wirkte einmal mehr zerfahren. Bögen gab es keine, aber immerhin fand er zu einem überzeugenden Schluss – was ja gerade bei einer solchen Performance durchaus nicht leicht ist. Die Hoffnung ging als in Richtung MEV, doch auch sie sollte enttäuscht werden.<br />
Fazit: Irritation und Langeweile. * *1/2<br />
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<b>YANN GOURDON SOLO </b>– Nach einer kleinen Umbaupause folgte Yann Gourdon an der Drehleier (vielle à roue). Nach einer guten Viertelstunde hatten wir das gehört (darum kein Fazit, keine Sterne – aber es hätte eher noch einen halben weniger als bei Curran gegeben, denke ich) und zogen los in Richtung Noumatrouff, wo wie immer die Abendkonzerte stattfanden, wo man an zwei Ständen was zu Essen kriegt und an diversen Ständen richtig viele CDs kaufen kann …<br />
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<b>MILESDAVISQUINTET ! </b>– Um 21 Uhr legte die erste Band des Abends los … was soll man erwarten von einem Klaviertrio, das sich Milesdavisquintet inklusive Ausrufezeichen nennt? Jedenfalls ist das schon mal eine klare Ansage und der Sound, den das Trio – <b>Valentin</b> <b>Ceccaldi </b>(vc), <b>Sylvain Darrifourcq </b>(d, perc), <b>Xavier Camarasa </b>(p) – zum besten gab, passte denn auch dazu. Das Set war grossartig, die ersten drei Viertel eine Art minimaler Techno, bei dem alle drei nur einzelne Töne spielten, die sich in verschiedenen Metren überlagerten, mal zusammenfanden um dann wieder auseinanderzudriften Camarasa beschränkte sich dabei auf präparierte Töne, es gab keinen Melodiefetzen, keinen Akkord, weder vom Cello noch vom Klavier. Das alles ergab einen hypnotischen Effekt, der schliesslich von einem banalen kleinen Klaviermotiv in der hohen Lage durchbrochen wurde. Mein erster Gedanke: oh nein, was soll das jetzt, warum brechen sie jetzt diese Strenge auf? Doch das bedauerte ich bald nicht mehr, denn das Trio legte einen Steigerungslauf hin, der atemberaubend war und über wohl eine knappe Viertelstunde bis zum äussersten getrieben wurde. Dann Schluss … doch Moment, das Cello spielt einfach weiter, wieder einen einzelnen Ton. Und dann steigen die anderen wieder ein, quasi eine eingebaute Zugabe zum Set, die zum Schluss noch einmal vorführt, wo die Reise angefangen hatte und verdeutlicht, wie das Trio vorging. Faszinierend und nach den Nachmittagskonzerten ein Start nach Mass.<br />
Fazit: * * * * *<br />
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<b>BIC </b>– Die zweite Gruppe des Abends hielt erfreulicherweise das Niveau, sowohl in energetischer als auch in musikalischer Hinsicht. Gitarrist <b>Julien Desprez </b>hatte eine <i>carte blanche</i> erhalten und holte sich <b>Ingebrigt Håker Flaten </b>(elb), <b>Mette Rasmussen </b>(as) und <b>Mads Forsby </b>(d). Letzteren kannte ich überhaupt nicht, von Rasmussen hatte ich zu meiner Schande von ein paar Youtube-Schnipseln abgesehen noch nichts gehört. Die Musik war düster und laut, es gab eine eigene Strobo-Lichtshow auf der Bühne, Haker-Flaten (der mit Kontrabass angekündigt war) beeindruckte mit unglaublich tollem Spiel, während der eigentliche Leader der Band ein wenig unterging. Rasmussen meisterte die Herausforderung, als Bläserin in die brachiale Musik hinein und dort Wege zu finden, mit denen sie etwas Wesentliches beitragen konnte, sehr gut. Raum hatte sie dennoch etwas wenig, immerhin gab es gegen Ende eine kürzere unbegleitete Passage.<br />
Fazit: * * * *1/2<br />
Ein 20minütiges Segment aus dem Konzert tauchte gerade auf Youtube auf – das ist ein mässiges Aud-Video, ich hoffe, es wird auch diesmal wieder offizielle Mitschnitte in der Tube geben, aber das dauert wohl noch ein wenig.<br />
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<b>THE NECKS </b>– Den Abschluss des Abends machten dann The Necks, und natürlich ergab auch die Programmierung der drei Sets perfekten Sinn. Die Spielanordnung der drei australischen Musiker ist schon krass, Tony Buck (d) sitzt links im rechten Winkel zum Publikum mit Blick auf den Rücken von Chris Abrahams (p), der in dieselbe Richtung blickt aber rechts auf der Bühne sitzt und ziemlich autistisch rüberkommt. Bloss Bassist Lloyd Swanton scheint so halbwegs am Publikum interessiert zu sein – und mich dünkte bei dem guten aber nicht überragenden Set war auch er es, der die Impulse gab (aufgriff und an die anderen weiterleitete?), die zu den allmählichen – manchmal aber überraschend plötzlichen – Veränderungen der wie erwartet hypnotischen, aber im Vergleich mit den zwei Sets davor doch auch ziemlich stillen Musik führte.<br />
Fazit: * * * * bis * * * *1/2<br />
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<b>JEUDI 24 AOÛT</b><br />
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<b>BILL ORCUTT SOLO </b>– Das diesjährige Festival kam mit einen Gitarrenschwerpunkt daher, bis dahin waren es Marc Ribot und Julien Desprez. Im zweiten Solokonzert in der Kapelle stand nun Bill Orcutt auf dem Programm. Er hatte in der Mitte der Bühne seinen Verstärker aufgebaut und sass grummelig und vollbärtig links daneben, man konnte ihn an den Köpfen des Publikums vorbei nur schlecht sehen. Aber hören dafür umso besser. Mich beeindruckte das völlig unprätentiöse Spiel sehr, es war unglaublich reich an Obertönen und an Klangfarben, eine Art gitarristisches Pendant zum Sound von Albert Ayler vielleicht? Im Publikum hielten manche sich die Ohren zu, denn die kahlen Steinwände spiegelten die Klänge in alle Richtungen (ohne zu hallen allerdings, dafür sorgt das stets zahlreich erscheinende Publikum) und es wurde tatsächlich ziemlich laut. Irgendwann brummelte er, er würde jetzt „White Christmas“ spielen und tat das dann auch, es folgte „Star-Spangled Banner“, die Hendrix-Referenzen verschwammen aber bald und er schaffte seine eigene Version. Dann noch ein kürzeres Stück und schliesslich mit einer seltsamen Ansage (ich glaube sowas wie: er wolle an sich nicht mehr, aber wenn wir noch wollen, spiele er halt nochmal, er hatte davor schon aufs Handy geschaut) auch noch eine kurze Zugabe.<br />
Fazit: sperrig aber doch wunderschön, * * * *<br />
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<b>BEAMS </b>– Nach dem Mittagessen ging es in die Kunsthalle, die eine kleine Ecke unter dem Dach des absurd grossen Gebäudes namens La Fondérie einnimmt und eine überraschend tolle Ausstellung zur Flüchtlingskrise bot. Darin fand um 17:30 dann eine Performance statt, die <b>Alvin Curran </b>mit seinem Workshop gab (es gibt beim Météo stets auch ein paar Workshops, zu denen man sich anmelden kann, einen leitete dieses Jahr Curran). Das war alles irgendwie okay, aber auch etwas nervig und langfädig und ja, langweilig – Reduktion fand ich das, Minimalismus nicht, aber das hätte es wohl sein sollen, obwohl es auch noch einen kurzen Free-Jazz-Moment gab, der dann aber auch unpassend war … keine Ahnung, überzeugte einmal mehr nicht.<br />
Fazit: * *<br />
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Das zweite Set in der Fondérie liessen wir weg, wir hatten das endlose Warm-Up gehört und es versprach nicht unbedingt, nach unserem Geschmack zu werden. Zudem gibt es beim Météo so viel Musik zu hören, dass es ganz gut ist, das eine oder andere Set auszulassen. Es spielten jedenfalls unten im Erdgeschoss <b>ISABELLE DUTHOIT </b>(voc, cl) / <b>HILD SOFIE TAFJORD </b>(frh, elec).<br />
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<b>SPILL </b>– Im Noumatrouff ging es an diesem zweiten Abend (dem dritten insgesamt, aber der Eröffnungsabend findet traditionell im Stadttheater statt) mit einem Duo los, das eigentlich ein begleitetes Schlagzeugsolo war. <b>Tony Buck </b>entpuppte sich nach seinem ebenfalls semi-autistischen Auftritt vom Vorabend als ganz netter Kerl, der sich von der Pianistin <b>Magda Mayas </b>begleiten liess. Neben Risser und Camarasa kommt sie in Sachen präpariertes Klavier aber nicht sehr gut weg, eben: das war gar kein Duo sondern ein Schlagzeugsolo mit hübscher Begleitung – dafür, dass die beiden gemäss Programm schon fünfzehn Jahre zusammenspielen eine seltsame und für mich letztlich zu wenig stringente Sache, aber nett anzuhören.<br />
Fazit: * * *<br />
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<b>INCERTUM PRINCIPIUM </b>– Beim nächsten Set stand Chris Abrahams auf der Galerie des Noumatrouff und wir wunderten und schon, ob er den Nachfolger für Buck rekrutierte, der sich eindeutig zu freundlich gezeigt hatte … am Schlagzeug in dieser französischen Gruppe mit norwegischem Gast sass nämlich der grossartige <b>Edward Perraud</b>, der auch eindeutig den Preis des bestangezogenen Mannes (Frauen sind tatsächlich mitgemeint) des Festivals gewinnt. <b>Ingebrigt Håker Flaten </b>war diesmal am Kontrabass zu hören, dazu stiessen die beiden jungen Bläser <b>Benjamin Dousteyssier </b>(as, bari) und <b>Aymeric Avice </b>(t, flh). Das gab eine tolle Mischung aus avanciertem Jazz im Stil der mittleren Sechzigern und neueren Einflüssen, am Ende jedenfalls für mich ein rundum gelungenes Set. Die Bläser waren toll – wenn man eine so grossartige und vielseitige Rhythmusgruppe hinter sich hat, kann man wenig falsch machen, aber durchaus durchfallen. Avice spielte streckenweise simultan Trompete und Flügelhorn, Dousteyssier griff sich zwischendurch ein paar Male (oder nur einmal?) das Barisax, glänzte aber meist am Alt.<br />
Fazit: * * * *1/2<br />
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<b>OREN AMBARCHI / WILL GUTHRIE </b>– Den Abschluss machte Oren Ambarchi, der hinter einem Tisch voller Utensilien sass, so dass man seine Gitarre kaum sehen konnte, im Duo mit dem Schlagzeuger Will Guthrie (noch zwei Australier übrigens). Ambarchi war sicherlich eine der Entdeckungen des Festivals, obwohl ich nicht weiss, ob ich ihm nachgehen werde, ob ich seine Aufnahmen, so sie denn mit den beiden gehörten Sets zu vergleichen sind, daheim anhören würde. Jedenfalls gab das – um Unterschied zum ersten Duo des Abends – eine tolle Mischung. Er bearbeitete seine Gitarre, loopte, nutzte Delays, hatte neben einem grossen Verstärker auch einen Leslie dabei, wie er üblicherweise für die Hammond Orgel genutzt wird, was dann eine Art Gitarren-Orgel-Sound erzeugte. Das war alles sehr experimentell, erschloss neue Räume und war irgendwie auch das pure Gegenteil zu Orcutt, mit dem der Tag begonnen hatte. Der Abend lief nach einem ähnlichen Schema ab wie der erste: in der Mitte der Free Jazz (wenngleich von völlig anderer Sorte), davor und danach zwei irgendwie vergleichbare und ähnlich besetzte Formationen.<br />
Fazit: * * * *<br />
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<b>VENDREDI 25 AOÛT</b><br />
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Jeweils um halb 12 gibt es an den vier Haupttagen des Météo auch ein kurzes Kinderkonzert im Innenhof der Bibliothek, die an der Grand’Rue direkt neben der Kapelle liegt. An diesem dritten waren wir erstmals dabei, es spielte <b>AYMERIC AVICE</b>, der Trompeter, den wir am Vorabend schon gehört hatten. Auch solo war er ziemlich toll, spielte erneut simultan Trompete und Flügelhorn, was einen sehr tollen, ziemlich dissonanten Effekt hatte (er spielte wohl meist unisono, aber eben: nicht wirklich), für die meisten Kinder war das eher nicht, aber die echten Kinder sind eh die seltsamen älteren Jazzfans im Asterix-Look, die sich auch nicht zu blöd waren, in die erste oder zweite Sitzreihe zu hocken, weiter vorne als ein paar der relativ wenigen Kinder. Ach so, ein Monk-Stück gab es auch noch, aber welches weiss ich nicht mehr.<br />
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<b>LAURA CANNELL SOLO </b>– Den eigentlichen Auftakt zum folgenden Tag machte die britische Violinistin Laura Cannell mit einem Programm, das sich zwischen alter Musik und Folklore bewegte. Wenigstens zweimal griff sie zwei Blockflöten, die sie simultan spielte. Da gehörte einiger Mut dazu – und es drängte sich auch die Vermutung auf, dass sie wohl noch nie vor so zahlreichem Publikum gespielt hat. Wir (redbeans und ich, that is) kauften jeweils eine der beiden CDs, die sie mithatte und danach draussen beim Weisswein nach dem Konzert vertickte. In die Kirche passte das perfekt und war auch wirklich schön.<br />
Fazit: * * *1/2 (oder auch ein halber mehr)<br />
<br />
<b>OREN AMBARCHI SOLO </b>– Nach dem tollen Schlusspunkt vom Vorabend war es klar, dass wir auch zum Solo-Set von Ambarchi gehen würden. Der fand um 16:00 im viel zu eng bestuhlten Entrepôt statt, wo er auf der Bühne wieder seine ganzen Utensilien auf dem Tisch ausgebreitet hatte, hinter dem er Platz nahm. Das klanglich erneut höchst inspirierende Solo-Set gefiel mir alles in allem wohl noch eine Spur besser und war von den Gittarreien wohl der Höhepunkt, auch wenn für mich das Solo-Set von Orcutt doch am schönsten war. Jedenfalls war damit die anfänglich leichte Skepsis wegen des Gitarrenschwerpunkts endgültig verflogen.<br />
Fazit: * * * *1/2<br />
<br />
Die Hitze und Enge im Entrepôt wurde zu unerträglich als dass wir nach der Pause nochmal reingehen mochte – so verpassten wir das Duo-Set der Elektroniker <b>JASON KAHN / NORBERT MÖSLANG</b>.<br />
<br />
<b>ONCEIM / JOHN TILBURY </b>– Weiter ging es um 18:30 in der <i>salle modulable</i> des Kulturzentrums La Filature, wo sich die grosse Gruppe Onceim eingerichtet hatte, die Frédéric Blondy auf die Beine gestellt hatte und die in diesem ersten Konzert ein neues Werk von John Tilbury aufführen sollte, das um einen Beckett-Text herum gebaut war. Hinter den 29 Musikern standen Lautsprecher, aus denen verschiedene Sprecher_innen Sätze lasen, während die Musiker vorne im Pianissimo fast nicht spielten. Irgendwann begannen die gesprochenen Passagen sich zu überlagern … das ganze war nicht völlig ohne Reiz aber doch sehr zäh. Dass man z.B. nicht auf die Idee kam, die Texte – auch nur bzw. am besten nur in der französischen Fassung, die auch das Original ist (hier kann man die englische Fassung nachlesen) – hinter den Musikern an die Wand zu projizieren, war wirklich schade. So blieb das ganze gelinde gesagt sehr akademisch, auch wenn ein anwesender Bekannter fasziniert war davon, dass die grosse Gruppe genau wie Tilbury solo geklungen hätte und auch noch was von Morton Feldman erzählte.<br />
Das Line-Up: Bertrand Denzler saxophone, Jean-Sébastien Mariage guitare, Benjamin Duboc contrebasse, John Tilbury composition, piano, Xavier Charles clarinette, Pierre-Antoine Badaroux saxophone, Antonin Gerbal batterie, Joris Rühl clarinette, Louis Laurain trompette, Giani Caserotto guitare, Benjamin Dousteyssier saxophone, Frédéric Blondy direction artistique, Félicie Bazelaire violoncelle, Sébastien Beliah contrebasse, Patricia Bosshard violon, Cyprien Busolini alto, Pierre Cussac accordéon, Jean Daufresne euphonium, Vianney Desplantes euphonium, Jean Dousteyssier clarinette, Yoann Durant saxophone, Rémi Durupt percussions, Elodie Gaudet alto, Jean-Brice Godet clarinette, Frédéric Marty contrebasse, Anaïs Moreau violoncelle, Stéphane Rives saxophone, Diemo Schwarz électronique, Alvise Sinivia piano, Deborah Walker violoncelle, Julien Loutelier batterie.<br />
Fazit: unzugänglich (unzulänglich?) * *<br />
Oder auch nicht, denn unzugänglich war das eigentlich überhaupt nicht, im Gegenteil, es war ja ohne und lag einfach da vor einem, aber das reichte dann auch nicht ganz. Keine Ahnung.<br />
<br />
<b>MUSICA ELETTRONICA VIVA </b>– Im Noumatrouff um 21 Uhr ging es los mit den alten Meistern, einer Übung in Nostalgie, die leider erneut enttäuschend war. Links am Flügel sass <b>Frederic Rzewski </b>(der bei mir basierend auf jugendlichem Halbwissen einen semi-legendären Ruf geniesst) und spielte eine kitschige Melodie nach der anderen, die <b>Richard Teitelbaum </b>in der Mitte am Synthesizer (und Elektronik) und <b>Alvin Curran </b>rechts an Flügel und Synthesizer (und Elektronik) aufgriffen. Es gab wieder eine disparate Klangcollage, die ohne Plan zu entstehen schien, wie schon Currans Solo durchaus ansprechende Momente hatte, klanglich auch recht interessant war, aber am Ende – ein halber Trump-Witz hilft auch nicht viel weiter – mäandernd und erstaunlich unstrukturiert wirkte dafür, dass das alles so geniale Komponisten und Konzeptarbeiter sein sollen.<br />
Fazit: * * * (das ist aber grosszügig, dann kriegt Cannell wohl schon vier)<br />
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<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEie0JxJ7lh7mMkZ0YN-gz2jQYB7aiSNQ3sS8FJoRyCxAf_nElfQHTL9rsMHwWMdoS3C-rkXQxpNrmxh_8497X8NNFmNvWFrCdZ9bA-FGeBkmQfZvINmo37EnzY969lpOQiFvA1Q1WIEMGI/s1600/20170825_223703.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="900" data-original-width="1600" height="225" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEie0JxJ7lh7mMkZ0YN-gz2jQYB7aiSNQ3sS8FJoRyCxAf_nElfQHTL9rsMHwWMdoS3C-rkXQxpNrmxh_8497X8NNFmNvWFrCdZ9bA-FGeBkmQfZvINmo37EnzY969lpOQiFvA1Q1WIEMGI/s400/20170825_223703.jpg" width="400" /></a></div>
<br />
<b>THE TURBINE ! FEAT. TOSHINORI KONDO </b>– Die zweite Gruppe des Abends blies dann aber die verbliebenen Reste der Siebziger, die noch altbacken über der Bühne schwebten, vom Platz. In der Mitte hatte Kondo seinen Stuhl, daneben die Elektronik-Kiste, die immer dabei ist, dahinter zwei Lautsprecher auf Ständern. Links kämpfte Harrison Bankhead sich auf die Bühne, wo er Kontrabass spielte, manchmal dazu sang und zwischendurch an den Flügel sass, rechts Benjamin Duboc am anderen Kontrabass, und dahinter neben Bankhead der Schlagzeuger Ramón López und zwischen ihm und Duboc Hamid Drake am zweiten Schlagzeug. Es war eine Freude, den beiden Drummern zuzusehen, die sich auf Augenhöhe begegneten (López mag man von Barry Guys Gruppen her kennen), während Bankhead manchmal etwas herumzufummeln schien und Duboc als Schwerarbeiter sehr toll war und dafür sorgte, dass alles irgendwie zusammenfand. Er war halt der ziemlich normale Franzose neben den bunten Paradiesvögeln (Bankhead und López) und den beiden Coolen Hunden (Drake und Kondo). Kondo war aber die Ingredienz, die das Set wirklich toll machte mit seinen gespentischen Klangkulissen, den Echos und Delays, den Wah-Wah-Verzerrungen etc.<br />
Fazit: * * * *1/2<br />
<br />
<b>BILL ORCUTT/CHRIS CORSANO/GURO SKUMSNES MOE </b>– Den Abschluss des durchwachsenen Abends machte dann der zweite Auftritt von Bill Orcutt. Er spielte eigentlich eine Art Duo mit Chris Corsano, bei dem die äusserst seltsame norwegische Bassistin Guro Moe als drittes Rad am Wagen ziemlich überflüssig schien. Als es losging konnte ich den Lachreiz ob ihres skurrilen Schreigesanges und des zombiehaften Verhaltens nicht unterdrücken, am Bass schrummte sie nur heftig herum, das schien mir alles mehr mit irgendeiner Form von Black oder Death Metal oder auch nur Fun Punk (aber völlig ohne Fun) zu tun zu haben als mit Improvisation – und als sie dann eine Saite wechseln musste, zog sie sie zwar irgendwie an, aber Nachstimmen war nicht, und kam bei der Spielweise auch sowieso nicht drauf an. Orcutt schien sie völlig zu ignorieren (er wirkte aber auch beim Solo-Set schon völlig unkommunikativ), guckte auch wieder auf sein Handy (verdammt, die 40 Minuten sind immer noch nicht um?) und ging relativ bald nach hinten, um seinen Verstärker doppelt so laut zu stellen (was schreit die da drüben so dämlich rum, will die mich verarschen? BÄMMMM!). Corsano fand ich einen supremen Langweiler, auch wenn sein übersauberes und hartes Spiel zu Orcutt irgendwie schon ganz gut passte. Moe scheint ja spielen zu können, aber das konnte man nach dem Set echt nicht ahnen.<br />
Fazit: keine Ahnung, was das genau war, aber mehr als * *1/2 liegen nicht drin<br />
<a href="https://www.youtube.com/watch?v=qhGdC9NbfT4">Hier</a> ist gerade das zweite Video aufgetaucht – aber wie immer geht das irgendwie nicht, wirkt alles viel zu harmlos im Miniaturformat am Rechner, da muss man so lauf aufdrehen können, dass sich die Haustiere auch zwei Stockwerke drüber noch hinter die Schränke verkriechen, sonst geht das nicht! Nach der Dreiminutenmarke ist auch der Moment, wo Orcutt zum Verstärker geht und den Soundcheck über den Haufen wirft … im Raum war er danach so laut, dass man vom, ähm, „Gesang“ für längere Zeit gar nichts mehr hören konnte, die Leute am Mischpult waren offensichtlich grad draussen rauchen oder völlig überrumpelt.<br />
<br />
<br />
<b>SAMEDI 26 AOÛT</b><br />
<br />
Auch am letzten Tag gingen wir zum Kinderkonzert, denn da war HARRISON BANKHEAD angesagt – sein kurzes Set war super, er sang wieder, und diesmal war das nicht nur eine Marotte sondern wirklich toll. Er erzählte Geschichten und liess auch seinen Bass singen … die Kinder hatten diesmal wohl nicht viel davon, aber für die Grossen war es umso schöner.<br />
<br />
<b>FRANZ HAUTZINGER SOLO </b>– In der Kapelle gehörte der letzte Auftritt dem österreichischen Trompeter Franz Hautzinger, der zwei Mikrophone aufgebaut hatte, die ganz unterschiedliche Verstärkungen seiner Geräuschkulissen boten. Etwas gewöhnungsbedürftig war es, aber das Set entwickelte – fast ohne einen konventionell gespielten Ton auskommend – einen guten Fluss und er spann auch gekonnt dramaturgische Bögen. Als Zugabe spielte er – seine Vierteltontrompete nutzend – eine kurze Fassung des Hummelsummenfluges und hatte schelmische Freude daran, wie schön das in der Kapelle klang (selbst bei ihm, der das Ding nun nicht gerade mit brillantem Ton blies, aber sich immerhin nicht in der hyperschnellen Linie verhedderte, was ihn selbst wohl am meisten freute).<br />
Fazit: * * *1/2<br />
<br />
<b>ONCEIM „LAMINAIRE #7“</b> – Weiter ging es erneut im Filature und einmal mehr mit Onceim, diesmal mit einem Stück von <b>Frédéric Blondy</b>. Uns trieb es trotz der Enttäuschung vom Vortag hin, und sei es nur, um zu sehen, wie fast keine Leute mehr kommen würden … dem war nicht so und das Hingehen lohnte sich auch, denn diesmal wurde viel mehr gespielt, immer noch oft zart und karg, aber es geschah deutlich mehr und die tolle Akustik des Saales kam auch schön zur Geltung – man konnte oft die einzelnen Beiträge der Musiker zuordnen, auch wenn da fünf Klarinettisten sassen. Tilbury war auch diesmal im Saal und Blondy spielte beide Male nicht mit (was wohl der Grund war, weshalb von den 30 angekündigten Leuten nur 29 mitwirkten).<br />
Line-Up siehe oben<br />
Fazit: ziemlich gut, vor allem auch nach der Enttäuschung vom Vortag, * * *1/2<br />
<br />
<b>L’OCELLE MARE</b> – Weiter ging es – wie letztes Jahr – zwei Stunden vor dem Schlusskonzert (das ebenfalls wie letztes Jahr nur zwei aber dafür etwas längere Sets bot) im Noumatrouff mit einem kürzeren, vornehmlich elektronischen Set. Zu hören war Thomas Bonvalet am elektrischen Banjo, Mundharmonika und diversen weiteren Utensilien und auch ihm gelangen sowohl klanglich wie auch dramaturgisch immer wieder tolle Dinge.<br />
Fazit: eine schöne Einstimmung auf den krönenden Abschluss, * * *<br />
<br />
<b>THE PERE UBU MOON UNIT </b>– Um 21 Uhr ging es dann richtig los – und wie! Pere Ubu ist bei mir eine eklatante Bildungslücke, die ich wenigstens im Hinblick auf das Frühwerk bald mal angehen will … aber was die Gruppe um Sänger David Thomas in dem Set bot, war echt grossartig. Die Songs sind super, die Musik passt perfekt, Thomas ekelt sich durchs Set, raunzt seine Musiker an, bricht – wohl alles einstudiert bzw. immer wieder so gemacht – einen Song ab, motzt, lässt wieder von vorne anfangen. Der unförmige wüste Kerl, der genau das sein will, zieht auch mal zwischendurch völlig sinnfrei einen seiner klobigen Schuhe aus, nimmt die Socke ab, zieht sie und den Schuh wieder an, derweil Gagarin, der schräg hinter ihm am Synthesizer steht, geekelt hervorguckt (der Typ sah sowieso aus, als hätte er sich mit den Security-Leuten besser verstanden als mit den Musikern). Gitarrist Keith Moline stand derweil stoisch rechts auf der Bühne und schien den ganzen Unfug zu ignorieren, während Klarinettist Darryl Boon und Drummer Steven Mehlmann ihre Parts in den Spielchen hatten. Gerade letzterer überzeugte mich im Vergleich zu Corsano am Vorabend sehr – was er spielte war zwar (meistens) weniger virtuos, aber dafür stets song- und sachdienlich und musikalisch passend. Die Show gehört am Ende aber ganz Thomas, der mit seiner unverwechselbaren Stimme wimmert und heult, raunzt und brüllt, dass der Himmel weinen muss. Das ganze war natürlich ordentlich skurril, aber das alles war diente letztlich nur der Inszenierung der Musik – und war durchaus angemessen.<br />
Fazit: * * * * *<br />
<b><br /></b>
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg3IGNz9jXcohrHK7FqZeV0QYHjGHSM32YAZcaR0iFRYh31N1P6qOgHbGjClAMrTdMu9fdNZkQn7aduq_jmDQa2IWFw0ye6Pz75_mTVsQH0PqpNHWVJ3xMDPpxUP0dp8d7ljsofg02TKH8/s1600/20170826_230831_edit.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="901" data-original-width="1600" height="225" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg3IGNz9jXcohrHK7FqZeV0QYHjGHSM32YAZcaR0iFRYh31N1P6qOgHbGjClAMrTdMu9fdNZkQn7aduq_jmDQa2IWFw0ye6Pz75_mTVsQH0PqpNHWVJ3xMDPpxUP0dp8d7ljsofg02TKH8/s400/20170826_230831_edit.jpg" width="400" /></a></div>
<br />
<b>PETER BRÖTZMANN/HEATHER LEIGH/TOSHINORI KONDO</b> – Auch der Schlussabend war, so stellte sich heraus, wieder perfekt programmiert. Auch die letzte Gruppe spielte ein ziemlich langes, etwa stündiges Set. Brötzmann stieg zwar heftig honkend ein, sein Ton am Tenorsaxophon mit all den Obertönen ähnlich reich wie jener von Orcutt im Solo-Set, aber ungleich ruppiger und schroffer, kantig, manchmal abgehackt, hart. Doch im Verlauf des Sets sollte er geradezu zart spielen, auch am Tarogato. Kondo war diesmal am linken Rand aufgebaut, während in der Mitte Heather Leigh sass, die schon ein wenig verblühte Siegerin der Wahl zur Mining Town Beauty Queen irgendwo in West Virginia vor schon so einigen Jahren. Der <a href="http://68.media.tumblr.com/79d6bd0c163dcb26651120488efcb298/tumblr_ot0zutRWZv1ruuh1zo1_1280.jpg">Promo-Shot mit Brötzmann</a> ist perfekt, denn Leigh stellt in der Tat ein weiches und breites und tiefes Bett auf, in das Brötzmann sich betten kann, wie immer er will – und zur Bettmetapher passt natürlich auch seine <a href="http://68.media.tumblr.com/76cfb2997b4cd4f5f3960725377fe5c9/tumblr_ot0zutRWZv1ruuh1zo2_1280.jpg">hübsche Zeichnung</a>. Kondos verstärkte Trompete und Leights Pedal Steel fügten sich oft so zusammen, dass sie fast zu verschmelzen schienen, das gab dann in der Tat eine grossartige Kulisse für Brötzmanns expressionistisches Spiel. Es gab aber auch Duo-Momente in allen möglichen Konstellationen und das Set entwickelte eine tolle Dramaturgie – auch indem es einem ruhigen Ende zufloss, bei dem Kondo leider länger aussetzte. Doch dann geschah tatsächlich das Unerwartete und das Trio gab noch eine heftige Zugabe, in der auch Kondo wieder aktiv dabei war.<br />
Fazit: Das war tätsächlich das Sahnehäubchen! * * * * *<br />
<br />
<br />
Das Ranking, gebündelt:<br />
<br />
<b>* * * * *</b><br />
Peter Brötzmann/Heather Leigh/Toshinori Kondo – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 26.8.<br />
The Pere Ubu Moon Unit – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 26.8.<br />
Milesdavisquintet! – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 23.8.<br />
<br />
<b>* * * *1/2</b><br />
The Turbine! feat. Toshinori Kondo – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 25.8.<br />
Incertum Principium (Edward Perraud, Ingebrigt Håker Flaten, Benjamin Dousteyssier, Aymeric Avice) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 24.8.<br />
Oren Ambarchi – Météo, L’Entrepôt, Mulhouse – 25.8.<br />
BIC (Julien Desprez, Mette Rasmussen, Ingebrigt Haker-Flaten, Mads Försby) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 23.8.<br />
<br />
<b>* * * *</b><br />
The Necks – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 23.8.<br />
Bill Orcutt – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 24.8.<br />
Oren Ambarchi/Will Guthrie – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 24.8.<br />
Laura Cannell – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 25.8.<br />
<br />
<b>* * *1/2</b><br />
Franz Hautzinger – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 26.8.<br />
Onceim/Frédéric Blondy – Météo, La Filature, Mulhouse – 26.8.<br />
Eve Risser – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 23.8.<br />
<br />
<b>* * *</b><br />
L’Ocelle Mare (Thomas Bonvalet) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 26.8.<br />
Musica Elettronica Viva (Alvin Curran, Frederic Rzewski, Richard Teitelbaum) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 25.8.<br />
SPILL (Tony Buck, Magda Mayas) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 24.8.<br />
<br />
<b>* *1/2</b><br />
Alvin Curran – Météo, Temple Saint-Etienne, Mulhouse – 23.8.<br />
Bill Orcutt/Chris Corsano/Guro Skumsnes Moe – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 25.8.<br />
<br />
<b>* *</b><br />
Onceim/Frédéric Blondy/John Tilbury – Météo, La Filature, Mulhouse – 25.8.<br />
Beams (Alvin Curran Workshop) – La Kunthalle, Mulhouse – 24.8.<br />
<br />
Dabei scheinen mir ev. die Solos von Hautzinger und Ocelle Mare etwas zu tief zu sein und dem Tilbury-Ding von Onceim könnte ich auch noch knapp einen halben mehr geben – aber das passt glaub ich schon so.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-51073839322096537342017-08-28T12:58:00.000+02:002017-08-30T13:00:26.621+02:00Patricia Kopatchinskaja, Jay Campbell, Polina Leschenko, Frédérique Cambreling etc.– Lucerne Festival, Erlebnistag, KKL/Kunstmuseum Luzern – 27. August 2017<strong>Patricia Kopatchinskaja </strong>– Violine<br />
<strong>Jay Campbell </strong>– Violoncello<br />
<strong>Polina Leschenko </strong>– Klavier<br />
<br />
<strong>George Enescu </strong>(1881–1955)<br />
Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 a-Moll op. 25 Dans le caractère populaire roumain<br />
<strong>Zoltán Kodály </strong>(1882–1967)<br />
Duo für Violine und Violoncello op. 7<br />
<strong>Maurice Ravel </strong>(1875–1937)<br />
Tzigane. Konzertrhapsodie für Violine und Klavier<br />
<br />
<a href="https://www.lucernefestival.ch/de/programm/patricia-kopatchinskaja-jay-campbell-polina-leschenko/468" rel="nofollow" target="_blank">https://www.lucernefestival.ch/de/programm/patricia-kopatchinskaja-jay-campbell-polina-leschenko/468</a><br />
<br />
Gestern morgen fuhr ich direkt vom Météo Festival in Mulhouse (Bericht
folgt noch) nach Luzern, wo ein „Erlebnistag“ mit diversen Konzerten
stattfand, sowohl im grossen Saal des KKL als auch in zwei Räumen des –
ebenfalls im KKL domizilierten – Kunstmuseums, im Foyer usw. Karten
hatte ich für zwei Konzerte, beide ausverkauft, das erste davon im
grössten Ausstellungssaal, der auch tatsächlich bis auf den letzten
Stuhl voll war. Los ging es mit der grossartigen dritten Violinsonate
von George Enesescu, die einst eins der handvoll Werke war, und unter ihnen das entscheidende, mit denen mir der Einstieg in die Klassik gelang.<br />
<br />
Kopatchinskaja spielte von Beginn mit ihrer schier unfassbaren
Präsenz, mit einer Intensität, die sich gewiss aus der Freiheit ihres
Zugriffes nährt, aber an Präzision mangelt es ihrem Spiel deshalb nicht
im geringsten. Ich sass perfekt, zweite Reihe direkt von Kopatchinskaja
und mit Blick auf die Hände Leschenkos, die hinter ihr sass, in halbwegs
klassischer Solist/Begleiter-Aufstellung, aber auf viel engerem Raum
als üblich. Das Klavierspiel überzeugte mich alles in allem, da und dort
schienen die Interpretation etwas zu schnell dafür, dass die Finger
immer sauber mithalten konnten (das wurde aber nie mit Pedaleinsatz
überspielt) was auch wichtig war bei der mittelmässigen Akustik des
Raumes (ein schlichter „white cube“, doppelt so lang wie breit, aber
eben: ich sass ganz vorne), denn da flossen die Töne sowieso etwas zu
sehr ineinander. Die enormen Erwartungen, die ich hatte, wurden
vielleicht ganz leise enttäuscht, aber das nur, weil sowohl das Werk als
auch Kopatchinskaja für mich ganz weit oben stehen – ja eigentlich auf
dem Gipfel.<br />
<br />
Als zweites stand dann das Duo von Kodály auf dem Menu, das
Kopatchinskaja mit dem zweiten „artist étoile“ des diesjährigen
Festivals, dem jungen Cellisten Jay Campbell, präsentierte. Auch sie
standen bzw. sassen so eng nebeneinander, dass sogar mal die
Geigen-Noten etwas verschoben werden mussten, damit Campbell sie nicht
umschubste – eine schöne Geste, denn es geht in der Kammermusik ja
tatsächlich um das Verschmelzen der Stimmen, das Zusammen. Das gelang
auch wunderbar, was wohl bei einem eruptiven Temperament wie jenem von
Kopatchinskaja nicht immer leicht ist – Campbell guckte sehr oft ganz
genau hin, aber es gab nur ein, zwei ganz kurze Passagen, wo sie eine
Spur nebeneinander waren. Das Werk hatte ich im Gegensatz zu Enescu
nicht im Ohr, aber wenigstens die Heifetz/Piatigorsky-Einspielung davon
einst schon angehört. Es gefiel mir in der Präsentation eine Spur besser
als die Sonate davor, was ja durchaus auch im Interesse der
Konzertdramaturgie passt.<br />
<br />
Der krönende Abschluss war dann aber Ravel, mit einem Werk, das
natürlich mehr als bekannt ist, das als „Zigeunermusik“ nicht die
Glaubwürdigkeit der Werke von Bartók und Kodály besitzt – um die herum
der ganze „Erlebnistag“ geformt wurde, weshalb u.a. auch Veress oder
eben auch Enescu auf dem Programm standen. Was Kopatchinskaja und
Leschenko nun mit Ravels „Tzigane“ anstellten erinnerte mich sehr an die
famose „Kreutzer“-Sonate von Joseph Szigeti und Béla Bartók – eine Art
retrograde Ethnisierung der Musik, ein Hervorholen der (imaginären)
Volksmusik, die quasi hinter dem fertigen Werk Ravels versteckt ist. Das
Spiel der beiden war äusserst temperamentvoll, Kopatchinskaja – die ja
immer barfuss spielt, was auch perfekt zu ihrer Art zu spielen passt –
spannte sich immer wieder wie ein Bogen, der dann plötzlich in die
Ausgansposition zurückschnellt. Bei Leschenko kamen die Finger manchmal
nur noch mit Mühe und Not mit, aber ohne Risiken einzugehen ist eine so
beeindruckende Interpration auch gar nicht möglich.<br />
Es gab danach noch eine Zugabe im Trio mit Jay Campbell, aber leider
vergass ich den Namen des Komponisten gleich wieder … etwas (relativ?)
Zeitgenössisches, eine charmante kleine Petitesse.<br />
<br />
—<br />
<br />
<strong>Ensemble der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY<br />
Frédérique Cambreling</strong> – Harfe<br />
<br />
<strong>Béla Bartók</strong> (1881–1945)<br />
Ausgewählte Duos für zwei Violinen<br />
<strong>Heinz Holliger</strong> (*1939)<br />
Partita (II) für Harfe<br />
<em>Uraufführung</em><br />
<strong>Sándor Veress</strong> (1813–1992)<br />
Diptychon für Bläserquintett<br />
<br />
<a href="https://www.lucernefestival.ch/de/programm/ensemble-der-lucerne-festival-academy-frederique-cambreling/493" rel="nofollow" target="_blank">https://www.lucernefestival.ch/de/programm/ensemble-der-lucerne-festival-academy-frederique-cambreling/493</a><br />
<br />
Direkt danach ging es am anderen Ende des Kunstmuseums weiter, in einem
etwas kleineren, quer eingerichteten Saal. Eine Geigerin und ein Geiger
aus dem Academy-Orchester spielten als Einstieg drei kurze Duos für
Violine von Bartók.<br />
<br />
Danach folgte die pièce de résistance, die Uraufführung von Heinz
Holligers zweiter Partita, komponiert für Harfe solo und präsentiert von
Frédérique Cambreling (die auch im ensemble Intercontemporain spielt).
Das Stück ist toll, schien mir oft hypervirtuos, es wird auch schon mal
auf den Rahmen getrommelt, gegen Ende mussten sogar rasch ein paar
Saiten umgestimmt werden … und es nicht so, dass ich von Harfe viel
verstehen würde (ich hörte vor einigen Monaten mal Xavier de Maistre –
siehe Post oben vom 7.5.), aber ich fand die Aufführung und das Werk
beeindruckend. Holliger war selbst anwesend, der Applaus riesig.<br />
<br />
Zum Ausklang gab es dann noch das Bläserquintett von Sándor Veress,
einst Lehrer von Heinz Holliger. Die Darbietung war nicht in jedem
Hinblick überzeugend aber alles in allem doch sehr in Ordnung – und sie
machte neugierig, von Veress dereinst weiteres zu hören.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-25213510737316881132017-08-23T11:00:00.000+02:002017-09-04T13:01:26.124+02:00Monteverdi: L’Orfeo (Adam, Blaziková, Buratto, Zanasi; Gardiner) - Luzern, KKL, 22. August 2017Krystian Adam – Orfeo<br />
Hana Blažiková – La Musica, Euridice<br />
Kangmin Justin Kim – Speranza<br />
Anna Dennis – Ninfa<br />
Lucile Richardot – Messaggiera<br />
Francesca Boncompagni – Proserpina<br />
Gianluca Buratto – Caronte, Plutone<br />
Furio Zanasi – Apollo<br />
und weitere Solisten<br />
<br />
<b>English Baroque Soloists<br />
Monteverdi Choir<br />
Sir John Eliot Gardine</b>r – Dirigent und Regie<br />
<b>Elsa Rooke </b>– Regie<br />
<br />
Eine Epiphanie, nichts geringeres, war die Aufführung von Monteverdis
„L’Orfeo“ unter der Leitung von John Eliot Gardiner. Phantastisch
gesungen und gespielt – „halbszenisch“ war perfekt, die Sänger bewegten
sich auf der leeren Bühne vor und hinter dem Orchester sowie im
Mittelgang zwischen den zwei Gruppen: links Streicher und Continuo mit
zwei Theorben/Chitarronen, Cello, Cembalo/Orgel und Harfe, rechts Bläser
und Continuo mit zwei Theorben/Chitarronen, Cello, Bass, Fagott. Auch
die leeren Sitzreihen hinter der Bühne wurden manchmal bespielt (von den
Blechbläsern, von Apoll im fünften Akt), ebenso wurde – zum Aufmarsch
zu Beginn, später für die Messagiera, die die traurige Nachricht vom Tod
Euridicens überbringt, ebenso wie für das Echo, der Zuschauerraum
(Parkett und Galerien) miteinbezogen. Das Fehlen von Bühnenbildern in
Kombination mit den dezenten Kostümen und der guten Regie hatte eine
grossartige Wirkung und potenzierte für mein Empfinden noch die Wirkung,
weil eben tatsächlich die Musik gewissermassen nackt ins Zentrum
gestellt wird, sie aber doch nicht einfach konzertant-trocken
vorexerziert wurde. Im Gegenteil, gerade in dem kargen Rahmen konnte sie
sich erst völlig entfalten. Die Sängerinnen und Sänger waren allesamt
gut bis super, Krystian Adam ein feiner aber überzeugender Orfeo, Hana
Blaziková eine sehr zarte, ebenso überzeugende Euridice – und als Musica
im Prolog begleitete sie sich natürlich gleich selbst an der Harfe
(einem kleinen Instrument, das wohl die „gotische“ Harfe ist, die im
deutschen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Hana_Bla%C5%BE%C3%ADkov%C3%A1" rel="nofollow" target="_blank">Wiki-Eintrag</a> erwähnt wird).<br />
<br />
Der Klang im KKL – ich sass wieder oben links auf Höhe der Bühnenkante – ist wirklich grossartig, wie schon bei Holliger/Kopatchinskaja
schien der seitliche Platz (diesmal sass ich noch eine Etage höher in
der zweiten Galerie) weit vorn überhaupt keine Nachteile zu bringen, und
im Vergleich mit der <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2016/03/john-eliot-gardiner-bach-matthaus.html" rel="nofollow" target="_blank">Matthäuspassion</a>,
ebenfalls mit Gardiner und im KKL letztes Jahr, wo ich in der Mitte des
Parketts sass, war es in der Höhe auch ordentlich laut – so gesehen war
die Platzwahl ungeplant (es ging eben auch darum, rechtzeitig ein
günstiges Ticket zu ergattern, was gar nicht einfach war) perfekt.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-26735934091478164712017-08-21T12:51:00.000+02:002017-08-30T12:55:35.567+02:00Camerata Zürich, Thomas Demenga, Thomas Sarbacher – Lucerne Festival, Kirche MaiHof – 20. August 2017<strong>Identities 3<br />
Camerata Zürich | Thomas Demenga | Thomas Sarbacher</strong><strong>
</strong><br />
<strong>SUN, 20.08. | 16.00 | Nr. 17316<br />
Kirchensaal MaiHof</strong><br />
<br />
<strong>Camerata Zürich </strong>(Igor Karsko, Musikalische Leitung)<br />
<strong>Thomas Demenga </strong>Violoncello<br />
<strong>Thomas Sarbacher </strong>Sprecher<br />
<br />
<strong>Josef Suk</strong> (1874–1935)<br />
Meditation über den altböhmischen St.-Wenzels-Choral op. 35a <br />
<strong>Antonín Dvořák</strong> (1841–1904)<br />
Waldesruhe op. 68 Nr. 5<br />
Rondo g-Moll für Violoncello und Orchester op. 94<br />
Slawischer Tanz g-Moll op. 46 Nr. 8 (bearbeitet für Violoncello und Orchester) <br />
<strong>Leos Janáček</strong> (1854–1928)<br />
Auf verwachsenem Pfade<br />
bearbeitet für Streichorchester von Daniel Rumler<br />
Texte von Maïa Brami<br />
<br />
<a href="https://www.lucernefestival.ch/de/programm/camerata-zurich-thomas-demenga-thomas-sarbacher/451" rel="nofollow" target="_blank">https://www.lucernefestival.ch/de/programm/camerata-zurich-thomas-demenga-thomas-sarbacher/451</a><br />
<br />
Die <strong>Camerata Zürich</strong> mit Konzertmeister Igor Karsko
öffnete das schwermütig böhmische Programm mit Suks Hymne, danach
folgten drei zu einer Suite zusammengefügte Stücke Dvoráks, für die <strong>Thomas Demenga</strong>,
der künstlerische Leiter der Camerata, als Solist am Cello dazustiess.
Beim slawischen Tanz wippten die Köpfe und zuckten die Beide in der
Reihe vor mir … das war wohl der Rock’n’Roll der 70-80jährigen Damen –
so weit halt, wie Rebellion gehen mochte. Meint man, einen etwas
spöttischen Unterton herauszuhören, dann ist das ganz recht, denn das
war zwar alles mit Gusto gespielt, sowohl vom Solisten wie auch vom
kleinen Streichorchester (Besetzung: 5-4-3-3-1), aber auch arg gefällig
und glatt in seiner eher dick- als heissblütigen Sentimentalität. Danach
ging es – keine Pause, immerhin – direkt mit dem Hauptwerk weiter, der
Erstaufführung eines Arrangements von Janáčeks „Auf verwachsenem Pfade“
(bearbeitet für Streichorchester von Daniel Rumler, der auch mitspielte)
mit Texten von <strong>Maïa Brami</strong> (wer sie ins Deutsche
übertragen hat, wird überall hartnäckig verschwiegen, soviel zum Wert
des Übersetzens in unserer zunehmen monolingualen Welt, ein Jammer). Die
Musik war ganz in Ordnung, aber mit den Texten konnte ich leider beim
besten Willen nicht sehr viel anfangen. Sie beziehen sich auf den
biographischen Hintergrund, den Janáček ja selbst (nach)geliefert hatte.
Doch der Vorteil der Musik ist ja gerade, dass sie absolut ist (was
übrigens auch ganz klar für Holligers Violinkonzert gilt, das hebt er
auch hervor in seinem Kommentar). Das Eindampfen auf biographische
Episoden und der nicht gelungene Wechsel von der Metapher (er – also
Janáček – findet eine Rose – die 37 Jahre jüngere Kamila Stösslová, in
die er sich verliebte – die ihm Glück verspricht, solange er sie nicht
pflückt … was für tolle Metaphern, n’est-ce pas?) bzw. vom Märchen zum
simpel erzählten, dem ein paar Wiederholungen, von <strong>Thomas Sarbacher</strong>
immerhin toll vorgetragen, auch nicht helfen, wenn es um „Poesie“ geht …
das ist in meinen Augen ziemlich missglückt. Zum einen, weil es eben
das Absolute, die Musik, zurückbindet an konkrete biographische Episoden
(Janáček habe sich die Lungenentzündung, an der er auch starb,
eingefangen, als Stössels Sohn Otto im Wald verloren ging, das löst dann
Gedanken aus an seine frühverstorbene Tochter Olga, seine angeblich
erste Kindheitserinnerung, wie er vor einem Brand gerettet werden
musste, fehlt auch nicht). Damit wird der Blick übermässig eingeengt und
es fällt im konstanten Wechsel von Text und Musik schwer, ihn für die
kurzen Stücke wieder zu öffnen. Zum anderen fand ich die Texte aber auch
von der literarischen Qualität her eher dürftig. Es gelang wie schon
angetönt nicht, ein Märchen zu erzählen, dazu war der Ton nicht
(vermeintlich) naiv, das ganze nicht lakonisch genug. Die Poesie war
dann eben leider Erinnerungsalbumpoesie und keine verknappte,
verklausulierte, die – statt einfach Episoden zu erzählen – neue
Bezugsräume geöffnet hätte (und das wäre, so fand ich, die
Herangehensweise für ein solches Projekt gewesen, die man hätte
ausprobieren sollen – knappe Wortfetzen, Fragmente, vieldeutig und doch
klar, die nicht vorspuren, was man danach hört sondern im Gegensatz
anregen dazu, in ganz verschiedene Richtungen zu hören und zu denken).<br />
<br />
Aber gut, den Leuten schien es sehr gut zu gefallen und vielleicht
ist das die Nische, in der die Camerata sich im übersättigten Markt von
Zürich eingerichtet hat, ich weiss es nicht. Die Programme des Ensembles
kamen mir bisher spannender vor, aber gehört habe ich sie gestern zum
ersten Mal. Betonen möchte ich nur noch einmal, dass es an der
Spielqualität nun aber überhaupt nicht mangelte.<br />
<br />
<a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/patricia-kopatchinskaja-lucerne.html" target="_blank">Teil 1 des Berichtes vom Lucerne Festival am 20. August 2017</a> ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-38051678203787061732017-08-21T12:38:00.000+02:002017-08-30T12:56:16.402+02:00Patricia Kopatchinskaja, Lucerne Festival Academy, Heinz Holliger – Lucerne Festival, KKL, Luzern – 20. August 2017<b>Sinfoniekonzert 9<br />
Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY | Heinz Holliger | Patricia Kopatchinskaja</b><br />
<b>
</b><b>SO, 20.08. | 10.30 Uhr | Nr. 17315<br />
KKL Luzern, Konzertsaal</b><br />
<br />
<b>Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY<br />
Heinz Holliger </b> Dirigent<br />
<b>Patricia Kopatchinskaja </b> Violine<br />
<br />
<b>Claude Debussy</b> (1862–1918)<br />
Khamma (orchestriert von Charles Koechlin) <br />
<b>Charles Koechlin</b> (1867–1950)<br />
Les Bandar-log (Scherzo des singes) op. 176<br />
<br />
<b>Heinz Holliger</b> (*1939)<br />
Violinkonzert Hommage à Louis Soutter<br />
<br />
<a href="https://www.lucernefestival.ch/de/programm/orchester-der-lucerne-festival-academy-heinz-holliger-patricia-kopatchinskaja/417" rel="nofollow" target="_blank">https://www.lucernefestival.ch/de/programm/orchester-der-lucerne-festival-academy-heinz-holliger-patricia-kopatchinskaja/417</a><br />
<br />
Gestern war ich zum ersten Mal am Lucerne Festival (bisher gab es einen
einzigen Besuch am Easter Festival, aber das war bloss ein Konzert,
abends an einem Wochentag), so „posh“ wie befürchtet ist das gar nicht,
halt einfach so, wie es an klassischen Konzerten so ist (also schon mal
nur halb so übel wie in der Oper). Zum Auftakt ging es mit Heinz
Holliger am Pult des Orchester der Festival Academy schon mal
phantastisch los. Ein charismatischer Dirigent ist Holliger gerade
nicht, aber er lässt die Musik lebendig werden – und konnte sich dabei
voll auf das Orchester verlassen. Die Werke von Debussy und Koechlin
waren mir bisher unvertraut, ein paar Aufnahmen Holligers mit Werken
Koechlins (Hänssler, mit dem RSO Stuttgart) liegen hier aber auf dem
Stapel, darunter auch „Les Bandar-log“ und Debussys „Khamma“, das ja von
Koechlin orchestriert wurde – welchen Beitrag Koechlin genau leistete,
scheint da nicht so klar zu sein, aber er ist wohl nicht unerheblich.<br />
<br />
Nach der Pause folgte die Hauptattraktion. Es gab einen grossen
Umbau, Harfe, Cimbalon und Vibraphon wurden nach vorn geholt und
bildeten zusammen mit der Solistin <b>Patricia Kopatchinskaja</b>
den innersten Ring des nun deutlich kleineren Orchesters, noch vor den
Streichern. Ich hatte einen Platz ungefähr auf der Höhe des Dirigenten,
seitlich auf der Galerie – der Klang war auch von da phantastisch und
der Blick ins Orchester fasziniert mich sowieso immer. Das Violinkonzert
Holligers ist ein grosser Trümmer, einem weiteren seiner lieben
„beiseit“-Künstler (Scardanelli/Hölderlin, Koechlin, Walser) gewidmet,
dem Violinisten und Maler Louis Soutter, der im späteren OSR spielte,
von Ansermet gemäss Holliger zunächst mal ganz nach hinten plaziert und
später aus dem Orchester geworfen wurde – und später eine prekäre
Randexistenz führte, was ihn nicht daran hinderte, ein beeindruckendes
Werk als Maler zu schaffen. Passend dazu verschwindet die Solo-Violine
zum Schluss quasi im Klangstrom. Doch bis dahin ist ein weiter weg. Das
Konzert bezieht sich auf die dritte Sonate für Violine Solo von Ysaÿe
(bei dem der junge Soutter studiert hatte – auf der ECM-Einspielung des
Konzertes mit Zehetmair gibt es diese Sonate zum Auftakt auch zu hören),
führt über eine gute Dreiviertelstunde durch mehrere Etappen, die teils
– wie Holliger schreibt – für seine Verhältnisse „eine äusserst
bewegliche Musik“ ist, „die rhythmisch sehr komplex ist. Eine
körperliche, tänzerische und motorische Musik, in der zum Teil sogar die
Rhythmik meines Lehrers Sándor Veress in ganz anderer Form zum
Vorschein kommt“ (Aus Holligers Liner Notes zur CD-Einspielung, ECM New
Series 1890, 2004). Für mein Empfinden war diese Aufführung eine echte
Sternstunde.<br />
<br />
<br />
Danach ging ich nach oben ins Luzerner Kunstmuseum, das ich noch nie
besucht hatte. Zu sehen ist eine Präsentation der Sammlung mit verschiedenen
thematischen Schwerpunkten, ganz schön präsentiert aber ohne die grossen
Highlights (am ehesten noch zwei sehr schöne Bilder von Hodler), zudem
eine Gegenüberstellung des Landschaftsmalers Robert Zünd (1827-1909) mit
Photographien von Tobias Madörin (*1965), die in derselben Umgebung
Luzerns entstanden sind. Die Gemälde fand ich insofern interessant, als
sie die ländliche Schweiz darstellen auf eine Weise, wie sie mir aus
meiner Kindheit in den Achtzigern noch bestens vertraut ist, als
idealisiert-idyllische Heimatdarstellung, die sie bei Zünd vermutlich
nicht annähernd im selben Ausmass war. Die Photographien von Madörin,
analog und einem langsamen Riesenformat hergestellt, sind allerdings
unglaublich faszinierend, sie wirken fast wie gemalt, man muss sehr nahe
herantreten, um den Unterschied zu erkennen – und sie bieten enorm
faszinierende Licht-Effekte.<br />
<br />
In der Ausstellung gab es dann um 14 Uhr auch noch eine Performance von <b>Strotter Inst.</b>,
einem Künstler, der auch ein paar Installationen mit Plattenspielern
und Kleinkram hergestellt hat, die im Entrée des Museums zu sehen sind.
Diese zwei von vier „Delokationen“ bezog sich auf Koechlins zuvor im
Konzertsaal gespieltes „Les Bandar-log“. Aus Versatzstücken erzeugte
Strotter Inst. (Inst.rument/Inst.allation – zum Begriff „Strotter“ findet sich auf seiner <a href="http://strotter.org/ch_biography/index.html" rel="nofollow" target="_blank">Website</a>
alles Wissenswerte) eine Klangkulisse, in die Beats und alle diese
Geräusche Eingang fanden, die experimentelle DJs so erzeugen können, und
zu deren Beschreibung mir das Vokabular völlig abgeht. Jedenfalls war
das eine ziemlich tolle, ca. 20 Minuten dauernde Intervention.<br />
<br />
Danach ging es runter in die Cafeteria neben dem KKL für einen
kleinen Imbiss. Als ich mein Tablett nach draussen trug, kam ich an
Heinz Holliger vorbei, was mir die Gelegenheit gab, mich kurz für das
phantastische Konzert zu bedanken. Und als ich danach weiterzog, kam
auch gerade Patricia Kopatchinskaja, um mit den anderen zum Bahnhof
rüberzugehen – das sind eben richtige Stars, ganz normale Leute halt,
die grossartige Musik machen. Auch ihr konnte ich noch einen kurzen Dank
aussprechen, bevor ich durch die Touristenhorden loszog, um einen Blick
in die mir zuvor unbekannte <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Jesuitenkirche_%28Luzern%29" rel="nofollow" target="_blank">Jesuitenkirche</a>
zu werfen, die doch ziemlich interessant ist. Zu Fuss ging es dann
durch die durchaus malerische Innenstadt und auf der anderen Seite raus
und weiter zum MaiHof, einem Areal mit Kirche, separatem Turm und ein
paar weiteren Gebäuden. Der Kirchensaal wird auch für Konzerte benutzt,
auch im Rahmen des Lucerne Festival.<br />
<br />
<a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/camerata-zurich-thomas-demenga-thomas.html" target="_blank">Teil 2 des Berichtes vom Lucerne Festival am 20. August</a>ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-82022790302726988222017-08-01T10:57:00.000+02:002017-08-30T10:58:58.731+02:00Jacques Offenbach: Les Contes d’Hoffmann (Spyres, Damrau, Testé, Conners, Pudova, Brower) - Bayerische Staatsoper, München, 30. Juli 2017Olympia: <strong>Olga Pudova</strong><br />
Antonia, Giulietta, Stella: <strong>Diana Damrau</strong><br />
Cochenille, Pitichinaccio, Frantz: <strong>Kevin Conners</strong><br />
Lindorf, Coppélius, Dapertutto, Miracle: <strong>Nicolas Testé</strong><br />
Nicklausse/Muse: <strong>Angela Brower</strong><br />
Stimme aus dem Grab: <strong>Okka von der Damerau</strong><br />
Hoffmann: <strong>Michael Spyres</strong><br />
Spalanzani: <strong>Ulrich Reß</strong><br />
Nathanaël: <strong>Dean Power</strong><br />
Hermann: <strong>Sean Michael Plumb</strong><br />
Schlémil: <strong>Christian Rieger</strong><br />
Wilhelm: <strong>Galeano Salas</strong><br />
Crespel, Luther: <strong>Peter Lobert</strong><br />
<br />
<strong>Chor der Bayerischen Staatsoper</strong> (Sören Eckhoff)<br />
<strong>Bayerisches Staatsorchester</strong><br />
Musikalische Leitung: <strong>Constantin Trinks</strong><br />
Inszenierung: <strong>Richard Jones</strong><br />
Bühne: <strong>Giles Cadle</strong><br />
Kostüme: <strong>Buki Shiff</strong><br />
Choreographie: <strong>Lucy Burge</strong><br />
Licht: <strong>Mimi Jordan Sherin</strong><br />
Dramaturgie: <strong>Rainer Karlitschek</strong><br />
<br />
<br />
Ich wollte längst ein paar Zeilen zur Aufführung von Offenbachs „Les
Contes d’Hoffmann“ schreiben, die ich letzten Sonntag in München sehen
konnte. Gross in die Details gehen kann ich nach fast einer Woche nicht
mehr, aber soviel ist klar: die Oper ist ein phantastisches Werk – und
zwar in beiden Bedeutungen dieses Wörtchens. Wie die drei Geschichten in
der Geschichte sich ineinander verschachteln, wie das alles musikalisch
umgesetzt ist, das überzeugt mich immer wieder – es gibt wohl keine
Oper, von der ich gezielt so viele verschiedene Aufnahmen (und auch
DVDs, die ich alle noch nicht angeschaut habe) zusammengetragen habe –
gerade kam auch noch die von 1972 auf Westminster dazu mit Stuart
Burrows, Beverly Sills, Norman Treigle etc. und dem LSO unter Julian
Rudel (zwar schon mit allen Akten, aber die Giulietta- und
Antonia-Geschichten verkehrt herum).<br />
<br />
Ich sass auf Empfehlung eines mehrfachen Besuchers des Hauses in der
riesigen Staatsoper zuoberst in der Galerie in der vordersten Reihe,
fast in der Mitte – und der Tipp war super, denn der Klang war
grossartig – ich glaube nicht, dass ich schon einmal eine Oper in so
hervorragender Akustik gehört habe – ich mag ja die enge kleine Oper in
Zürich (selbst wenn es bei Verdi-Opern laut wird, darf es ja auch!),
aber ich war wirklich begeistert vom Raumklang in München.<br />
<br />
Orchester und Sänger-Ensemble schienen bei dieser zweiten von zwei
Aufführungen dieser 2011 eingerichteten und erstmals aufgeführten
Inszenierung ziemlich gut abgestimmt, es gab nur kleine Verschiebungen
und auch solche nur selten, klanglich war auch da alles astrein: keine
zugedeckten Stimmen (weder von anderen Stimmen noch vom Orchester),
keine Misstöne bei den Sängerinnen und Sängern. Diana Damrau sang in
einer früheren Aufführung dieser gleichen Inszenierung, die ich im
Fernsehen angeschaut hatte, alle vier Damenrollen, diesmal sprangen Olga
Pudova und Damrau für eine erkrankte Sängerin ein, und ich fand es ganz
gut, dass Damrau nicht auch noch die Olympia gab (und dadurch, dass
Stella ja eh eine stumme Rolle ist, sang sie faktisch nur zwei Figuren,
von denen sie mir als Antonia besser gefiel). Fast noch besser gefielen
mir Angela Brower als Nicklausse und Muse sowie Michael Spyres als
Hoffmann, aber auch die Bösewichte von Nicolas Testé (der ebenfalls erst
kurzfristig bekanntgegeben wurde – ich weiss gar nicht, ob es für die
Rollen davor eine Vakanz gegeben hatte, jedenfalls wurde nicht erwähnt,
für wen er eingesprungen ist).<br />
<br />
Alles in allem eine tolle Inszenierung (die kannte ich ja schon,
hätte sie mir nicht gefallen, wäre ich auch nicht hin) und eine super
Aufführung. Das Drumherum fand ich wie so oft etwas bemühend (da ist
Zürich erstaunlich unkompliziert, man hat in eine paar Minuten sein
kleines Bier und das kostet sogar für hiesigie Verhältnisse nicht mal so
viel), aber das liegt dann wohl an der grösse des Hauses – zwei Pausen
wären jedenfalls nicht notwendig gewesen (bei der langen ersten nach dem
Olympia-Akt musste man allerdings den Saal verlassen, da war wohl ein
Umbau nötig – aber den Rest hätte man auch Stück durchstehen können, bei
Marthaler in den Kammerspielen gab’s mal wieder 2 1/4 Stunden ohne
Pause, das geht schon, wenn das Gebotene gut ist).<br />
<br />
Sehr gut ist das Programmheft, das gleich drei Aufsätze liefert zur
Entstehung und Rezeption der Oper, und natürlich fehlen auch
Interpretationsansätze nicht.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-7410115573366036092017-07-07T12:32:00.000+02:002017-08-30T12:33:24.792+02:00Tonhalle-Orchester Zürich, Giovanni Antonini, Julia Becker – Zürich, Tonhalle, Grosser Saal – 6. Juli 2017<strong>Tonhalle-Orchester Zürich<br />
Giovanni Antonini</strong> Leitung<br />
<strong>Julia Becker </strong>Violine<br />
<br />
<strong>Joseph Haydn</strong><br />
Sinfonie D-Dur Hob. I:101 „Die Uhr“<br />
<strong>Wolfgang Amadeus Mozart</strong><br />
Violinkonzert Nr. 3 G-Dur KV 216<br />
<br />
<strong>Joseph Haydn</strong><br />
Sinfonie Es-Dur Hob. I:103 „Mit dem Paukenwirbel“<br />
<br />
Zum Saisonabschluss spielte das Tonhalle Orchester ein allerletztes
Mal im grossen Saal, bevor dieser für drei Saisons geschlossen bleibt
und renoviert (umgebaut?) wird. Am Pult stand ein dem Orchester längst
vertrauter Spezialist für historische Aufführungspraxis, der Mailänder
Giovanni Antonini, den ich im Februar schon mit seinem eigenen Ensemble
Il Giardino Armonico und Sandrine Piau gehört hatte (auch <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/02/sandrine-piau-il-giardino-armonico.html" rel="nofollow" target="_blank">damals</a> standen Haydn und Mozart auf dem Programm).<br />
<br />
Das Orchester war natürlich klein besetzt, ging auf Antoninis
temperamentvolles Dirigat sehr schön ein, doch im Klang fehlten mir ein
wenig die Spitzen, das Temperament, dass ein Ensemble wie Il Giardino
Armonico hinkriegt. Dennoch gelangen die beiden Haydn-Symphonien mehr
als gut, das Zusammenspiel war auf sehr hohem Niveau. Am schönsten war
aber vielleicht das Violinkonzert KV 216 von Mozart, das vor der Pause
erklang, mit der ersten Konzertmeisterin des Tonhalle Orchesters, Julia
Becker, als Solistin – da schien die Zeit stillzustehen, die Musik
schien zu schweben … ganz wunderbar.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-34526882652198053792017-07-01T10:39:00.000+02:002017-08-30T10:43:16.167+02:00Urs Leimgruber/Pascal Marzan & Devin Gray/Miles Perkin/Eve Risser – WIM, Zürich, 30. Juni 201720:15 Werkstattkonzert 1. Set<br />
<br />
Urs Leimgruber – Saxophon<br />
Pascal Marzan – Gitarre<br />
<br />
<br />
21:00 Werkstattkonzert 2. Set<br />
<br />
Devin Gray – Schlagzeug<br />
Eve Risser – Klavier<br />
Miles Perkin – Bass<br />
<br />
<br />
Gestern Abend mein letztes Jazzkonzert vor der überlangen Sommerpause – die auch dieses Jahr durch das <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/08/meteo-mulhouse-music-festival-2017-23.html">Météo in Mulhouse</a>
etwas verkürzt wird (es scheint leider zur Tradition zu werden, dass
ich den Eröffnungsabend verpasse, dieses Jahr u.a. Evan Parker/Matthew
Shipp, was mich schon sehr interessieren würde; letztes Mal lag es an
zuwenig Urlaub, dieses Mal immerhin wegen „L’Orfeo“ unter Gardiner in
Luzern). Es gab zwei frei improvisierte Sets von wohl einer
Dreiviertelstunde Dauer, beide gut gelungen, beide von Combos, die wohl
noch nicht oft zusammengespielt haben (beim Trio im zweiten Set bin ich
nicht sicher, ob das nicht das erste Mal überhaupt war, Devin Gray lud
ein und wählte die beiden anderen aus, wie es schien).<br />
<br />
Im ersten Set traf der Luzerner Klangalchimist <a href="http://www.efi.group.shef.ac.uk/mleimgr.html" rel="nofollow" target="_blank"><b>Urs Leimgruber</b></a> (den ich skandalöserweise tatsächlich nach wohl über einem Dutzend Jahren erst zum zweiten Mal live hörte) auf <b>Pascal Marzan</b>
aus Paris. Die beiden steigen den Klängen nach, noch den feinsten,
leisesten. Das tun sie mit Beharrlichkeit und einer guten Prise Humor.
Marzan spielt eine akustische Gitarre, in die er ein kleines Mikro
klebt, damit auch die ganzen Präparierungen, die er vornimmt, gehört
werden können. Er schiebt Dinge zwischen Griffbrett und Saiten wie auch
und unter die offenen Saiten, traktiert diese mit verschiedenen
Gegenständen, wendet aber ebenso – auch in Kombination mit Präparationen
– Flamenco- und klassische Spieltechniken an. Leimbgruber stopfte sein
Sopransaxophon mit einem Dämpfer, der wie ein angepasster
Trompetendämpfer aussah, was bei hohen Tönen einen leichten
Verfremdungseffekt hat, vor allem bei vollständig geschlossenen Klappen
jedoch einen speziellen Effekt bringt, den er da und dort auch quasi zum
Dialog mit sich selbst, zur Antwort auf offene Linien in höheren Lagen,
einsetzte. Am Tenor nahm er auch mal das Mundstück ab, blies in den
Bogen, nahm auch diesen ab, hielt ihn mit kleiner Distanz vor die Lippen
und spielte mit Luftströmen, die brachen und ganz leise Klänge
erzeugten. Auch für das Tenoraxophon verfügt er über einen Dämpfer. Was
er mit den beiden Instrumenten alles anstellt, ist jedenfalls
phänomenal, dass er – durch die Om-Reunion, soweit ich weiss – auch das
kraftvolle tonale Spiel wiederentdeckt hat und auch dieses einbaut, was
nahtlos und völlig organisch gelingt, erweitert die Klangpalette noch
zusätzlich. In Marzan (den ich davor nicht einmal dem Namen nach kannte)
hat er einen kongenialen Partner gefunden, der mir nur da und dort
etwas konventionell schien, insgesamt aber sehr schön zu Leimgruber
passte. Hier gibt es ein interessantes Interview und diverse Hörproben
von Marzan:<br />
<a href="http://preparedguitar.blogspot.ch/2015/02/pascal-marzan-13-questions.html" rel="nofollow" target="_blank">http://preparedguitar.blogspot.ch/2015/02/pascal-marzan-13-questions.html</a><br />
<br />
Nach der Pause gab es dann ein Trio mit <a href="https://www.everisser.com/" rel="nofollow" target="_blank"><b>Eve Risser</b></a> am präparierten Piano, <a href="http://www.milesperkin.com/" rel="nofollow" target="_blank"><b>Miles</b></a> <a href="https://milesperkin.bandcamp.com/" rel="nofollow" target="_blank">Perkin</a> am Kontrabass und <a href="http://devingraymusic.com/" rel="nofollow" target="_blank"><b>Devin</b></a> <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Devin_Gray" rel="nofollow" target="_blank"><b>Gray</b></a>
am Schlagzeug. Das Trio sass im ersten Set im Publikum und hörte zu,
das Duo tat im zweiten Set dasselbe – um sich zu vergegenwärtigen, wie
die WIM (Werkstatt für Improvisierte Musik) aussieht: im Regelfall sind
da zwei bis maximal drei Stuhlreihen von etwa 8-10 Stühlen, in der Regel
sind einige von ihnen leer. Tagsüber und auch an den meisten Abenden
proben hier lokale Musiker, ein bis zweimal wöchentlich finden Konzerte
statt, es gibt regelmässige Reihen (z.B. von Saxophonist und Bandleader <a href="http://www.omriziegele.ch/aktuell/" rel="nofollow" target="_blank">Omri Ziegele</a> und seinem Langzeitprojekt Billiger Bauer oder von Drummer <a href="http://www.geisser.com/" rel="nofollow" target="_blank">Heinz Geisser</a>,
den man vielleicht von den Alben des Collective 4tet auf Leo kennt).
Oft sitzen denn auch andere Musiker im Publikum und hören, was ihre
Kollegen aushecken. Immer wieder sind aber auch Gäste aus der halben
Welt da, wie eben auch gestern Abend, als der amerikanische Drummer
Devin Gray mit der Elsässerin Eve Risser und dem Kanadier Miles Perkin
(derzeit wie es scheint in Berlin domiziliert und auch an <a href="http://www.schaubuehne.de/en/people/miles-perkin.html" rel="nofollow" target="_blank">Schaubühne</a>
tätig ist und – wenig überraschend, wenn man ihn spielen sieht – auch
als Tänzer arbeitet) ein Trio bildete. Präparationen gab es natürlich
noch mehr, Risser hatte wohl zwei Dutzend kleinere und grössere
Gegenstände im Flügel verteilt, die sie immer wieder umarrangierte,
während sie die Tasten bearbeitete oder mit verschiedenen Schlägeln die
Saiten im Innern des Instruments bearbeitete. Gray spielte über weite
Strecken mit Besen, schnappte sich manchmal auch kleine Glöcklein,
lauschte wie auch Risser und zuvor das Duo den Klängen nach, schien sich
für eine Weile fast im Schlagzeug verkriechen zu wollen. Sein Spiel war
(neben Marzan) die Entdeckung des Abends, erscheint es doch zugleich
sehr locker und total kontrolliert, frei und doch oft auch mit einem
mitreissenden Puls, um nicht von Groove zu reden. Das Trio erzeugte
nicht die hochkonzentrierte, durchaus als Zumutung zu bezeichnende
Dichte des ähnlich gelagerten Trios „en corps“ mit Risser, Benjamin
Duboc und Edward Perraud (das neue Album ist wohl mein Album des Jahres
und das erste wäre es vor ein paar Jahren auch gewesen, wenn ich es
gekannt hätte), da war viel mehr Luft, auch das in der Tat tänzerische
Spiel von Perkin öffnete Räume. Risser hielt sich über weite Strecken
zurück, wobei mir nicht ganz klar war, ob sie darauf wartete, dass die
anderen in einen allmählichen Steigerungslauf einfallen würden,
jedenfalls gab es erst im letzten Drittel Passagen, in denen ihr Spiel
sich verdichtete und auch mal laut wurde, inklusive ganze Unterarme auf
der Tastatur, was das Arsenal im Innern des Flügels in nervöse Unruhe
versetzte. Ein schönes, nicht überragendes Set.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-49623443348502524792017-06-27T11:27:00.000+02:002017-08-30T12:34:24.428+02:00THReNSeMBle, Peter Eötvös – Zürich, Tonhalle, Kleiner Saal – 26. Juni 2017<b>PETER EÖTVÖS CONTEMPORARY MUSIC FOUNDATION@TONHALLE</b><br />
<b>
</b>
<b>THReNSeMBle<br />
Péter Eötvös</b> Leitung Creative Chair<br />
<b>Balázs Horváth</b> Leitung<br />
<b>Anton Mecht Spronk</b> Violoncello<br />
<b>Roland Szentpáli</b> Tuba<br />
<b>Miklós Lukács</b> Cimbalom<br />
<br />
<b>Péter Tornyai</b><br />
„QuatreQuatuors“ für Ensemble (2010), Schweizer Erstaufführung<br />
<b>György Kurtág</b><br />
„Brefs messages“ op. 47 für Kammerensemble (2011)<br />
<b>Máté Bella</b><br />
„Chuang Tzu’s Dream“ für Violoncello und Ensemble (2008), Schweizer Erstaufführung<br />
—<br />
<b>Máté Balogh</b><br />
„Jam Quartet“ für Kammerensemble (2016), Schweizer Erstaufführung<br />
<b>Balázs Horváth</b><br />
„pikokosmos = millikosmos“ für Tuba und Ensemble (2015), Uraufführung<br />
<b>Péter Eötvös</b><br />
„da capo“ für Cimbalom und Ensemble (2014), Schweizer Erstaufführung<br />
<br />
Das nun war ein grossartiger Abend – aktuelle Musik aus Ungarn,
gespielt von einem Ensemble aus Ungarn (mit einer südeuropäischen
Oboistin, die aber jetzt in Zürich bleiben – und das Ensemble demnach
wohl verlassen – wird und einem lokalen Cellosolisten als Gast). Das
besondere am THReNSeMBle – und an Peter Eötvös selbst – ist der Ansatz,
dass die Musiker zugleich auch Komponisten sind und umgekehrt. So war
Péter Tornyai auch als Bratschist im Ensemble dabei und der Gründer und
Leiter der Gruppe Balázs Horváth auch als Komponist vertreten (ebenso
wie Eötvös, der die meisten Stücke dirigierte, während wenigstens Balogh
sein Stück selbst dirigierte – die Erinnerung an solche
Äusserlichkeiten schwindet leider schon wieder) – ein von Pierre Boulez
entliehenes Konzept, das in früheren Zeiten von grosser
Selbstverständlichkeit war. Und es gerne wieder werden dürfte, zumal
wenn die Ausbeute so überzeugend ausfällt.<br />
<br />
Das Cellokonzert von Bella war das grosse Highlight, auch weil Spronk
grossartig spielte. Die Stücke von Kurtág und Horváth fand ich
ebenfalls phantastisch. Das erste von Tornyai hätte an sich mit vier
über den ganzen Raum verteilten Gruppen gespielt werden müssen, was im
kleinen Saal nur mit grösstem Aufwand möglich gewesen wäre (im grossen
auch, zumal dieselben Instrumente danach alle auf die Bühne geschleppt
hätten werden müssen). Schlimmer noch war aber, dass keine Harfe erklang
sondern eine am Synthesizer simulierte – am fehlenden Instrument lag
das kaum, aber in keinem anderen Stück war eine Harfe vonnöten und so
griff man wohl zu dieser Notlösung, die im Gespräch mit Eötvös, das vor
dem Konzert im Foyer stattfand, auch erwähnt wurde (sonst hätte ich wohl
nicht gedacht: „aha, das soll jetzt also die Harfe sein“). Aber gut,
das Stück wird deshalb nicht schlecht, bloss müsste man es halt unter
anderen Bedingungen hören können. Etwas gewöhnungsbedüftig fand ich das
erste Stück nach der Pause, das als „jazzig“ eingeführt wurde (die
Ignoranz der Klassikwelt dem Jazz gegenüber schmerzt mich sehr – ich
muss darauf achten, einen Eötvös wegen einer dämlichen Bemerkung nicht
gleich geringer zu schätzen). Der Cellist des Ensembles wirkte quasi
solistisch, im Quartett mit Flöte, Flügel und Percussion (drei Triangel
nur) sowie einer Spieldose, die an einer Stelle zum Einsatz kam (die
„jammt“ halt nicht, darum ist es wohl ein „Jam Quartet“, auch wenn fünf
Musiker auf der Bühne sind). Das abschliessende Stück von Eötvös selbst
überzeugte mich nicht vollends, manche Passagen schienen mir zu sehr auf
den Witz kalkuliert, andere eher filmisch – und ziemlich langweilig,
auch wenn sie nur als Übergang gedacht sein mögen. Das Cimbalom war
übrigens nicht nur in diesem letzten Stück präsent sondern in zwei oder
drei weiteren auch – aber in keinem so präsent wie in diesem letzten, wo
es zwar nicht wie zuvor das Cello oder die Tuba einen dem Ensemble
quasi gegenübergestellten Solopart hatte, aber doch immer wieder
solistisch zu hören war.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-82952100822654509682017-06-24T11:32:00.000+02:002017-08-30T11:33:23.649+02:00Tonhalle-Orchester Zürich, Jakub Hruša, Isabelle Faust – Zürich, Tonhalle, Grosser Saal – 23. Juni 2017<strong>Tonhalle-Orchester Zürich<br />
Jakub Hruša</strong> Leitung<br />
<strong>Isabelle Faust</strong> Violine<br />
<br />
<strong>Béla Bartók</strong><br />
Konzertsuite aus „Der wunderbare Mandarin“ op. 19<br />
<strong>Robert Schumann</strong><br />
Violinkonzert d-Moll WoO 1<br />
—<br />
<strong>Leoš Janáček</strong><br />
Sinfonietta für grosses Orchester<br />
<br />
Nicht viele Worte dazu, dafür ist es zu spät … aber sowohl in Bartók
wie auch in Janácek war das Orchester eine Wucht! Hrusa gestaltete die
beiden Werke perfekt. In der Lautstärke kam der Schuhschachtelsaal
manchmal an seine Grenzen, aber egal wie laut und intensiv es wurde,
alles blieb transparent und klar, die Stimmen heraushörbar. Grosse
Klasse!<br />
Leider war das Schumann’sche Violinkonzert mit der verehrten Isabelle
Faust eine leise Enttäuschung – was aber, im Gegensatz zum <a href="http://ubus-notizen.blogspot.ch/2017/03/isabelle-faust-freiburger.html" rel="nofollow" target="_blank">Mendelssohn-Konzert</a>
neulich, nicht an Faust lag. Im Gegenteil: sie scheint den Solo-Part
des Konzertes gänzlich verinnerlicht zu haben! Aber das Orchester war
flächig, breit, wenig nuanciert, die klangliche Transparenz, die es
davor und danach auch wieder an den Tag legte, fehlte. Da ich mit dem
Konzert (und auch mit Schumanns Symphonien) sowieso nicht gänzlich
klarkomme, bin ich mit Schuldzuweisungen aber vorsichtig, habe mir
vorgenommen, mich bald mal wieder an die jüngeren Aufnahmen zu machen,
unter denen sich ja auch eine mit Faust findet (mit Heras-Casado, also
genau die Kombination, die bei Mendelssohn, pardon, nicht recht geigte).
Wobei mir jene von Carolin Widmann aber beim letzten Durchgang am
besten gefiel – die anderen sind Zehetmair und Kopatchinskaja mit
Holliger (ein paar ältere sind auch noch da, von Zehetmair/Eschenbach ab
aber noch nicht oder kaum gehört).ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-8893423832932015072017-06-16T11:25:00.000+02:002017-08-30T11:26:10.249+02:00Kristóf Baráti, Tonhalle-Orchester, Lionel Bringuier – Zürich, Tonhalle, Grosser Saal – 15. Juni 2017<strong>Tonhalle-Orchester Zürich<br />
Lionel Bringuier</strong> Leitung<br />
<strong>Kristóf Baráti</strong> Violine<br />
<br />
<strong>Péter Eötvös</strong><br />
„zeroPoints“<br />
<br />
<strong>Igor Strawinsky</strong><br />
„Petruschka“ (Rev. Fassung 1947)<br />
—<br />
<strong>Dmitri Schostakowitsch</strong><br />
Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 99<br />
<br />
Schon ein paar Tage her und kein Konzert, das mich zu einem
umgehenden und längeren Bericht anregte. Das
Programm war spannend, besonders weil es zum Auftakt ein – ziemlich zugängliches – Werk von Eötvös gab, der diese Saison beim
Tonhalle Orchester als „creative chair“ wirkt (leider hörte ich bisher
nichts von ihm und schaffe auch eher kein weiteres Konzert mehr). Den
Stravinsky fand das Publikum dann ziemlich super nach dem sperrigen
Auftakt (eine Hommage an Pierre Boulez aus den späten 90ern). Das
Orchester präsentierte sich zwar von seiner besten Seite, aber so
richtig begeistert war ich nicht.<br />
<br />
Das Highlight war dann wohl das erste Violinkonzert Dmitri
Schostakowitschs. Angekündigt war Leonidas Kavakos, der aber wegen eines
(oder zweier) Todesfälle alle Konzerte im Juni abgesagt hat. Kristóf
Baráti sprang ein und war dem Monstrum mehr als gewachsen. Völlig
unprätentiöse Darbietung, ganz der Musik verschrieben, in ihr aufgehend.
Als Zugabe dann ein langsamer Satz aus einer von Bachs Sonaten oder
Partiten.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-19700369271033169802017-06-11T10:45:00.000+02:002017-08-30T10:46:29.912+02:00Swanky Mothers feat. Roberto Domeniconi – WIM, Zürich, 10. Juni 2017Jonas Labhart (as, bari), Beat Gisler (elb), Marius Peyer (d), Roberto Domeniconi (keys)<br />
<br />
Gestern spielten die Swanky Mothers das 51. und letzte ihrer über
etwa fünf Jahre monatlich durchgeführten Konzerte in der Werkstatt für
Improvisierte Musik in Zürich. Als Gast hatten sie zum Abschied den
Keyboarder Roberto Domeniconi eingeladen. Das ca. einstündige Set ging
ziemlich ab. Die Keys fiepsten und jaulten, die Rhythmen von Drums und
E-Bass verzahnten sich immer wieder zu engen, harten Grooves, dazu
stiessen die Saxophone, mal schreiend, mal in den Groove einfallend, der
sich stapfend und schnaubend auf das nächste Level emporschwang. So
klingen Free Funk und Rock Jazz durch die Brille des Free Jazz – sehr
intensive, oft verschattete Musik, die in die Beine genauso geht wie in
den Bauch und in den Kopf. Ein würdiger Abschluss der langen Serie (die
ich, zu meiner Schande, ansonsten völlig verpasst habe).ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-68620813131525418972017-06-09T11:21:00.000+02:002017-08-30T11:21:51.226+02:00Igor Levit – Zürich, Tonhalle, Grosser Saal – 8. Juni 2017<strong>Igor Levit</strong> Klavier<br />
<br />
<b>Dmitri Schostakowitsch</b><br />
24 Präludien und Fugen für Klavier solo op. 87<br />
<br />
Ich habe eigentlich gar keine Worte dafür, möchte das nur rasch
Erwähnen – Wahnsinn! Zum ersten Mal, dass ich Levit mit Noten sah, die
er aber oft über längere Strecken gar nicht zu beachten schien. Einen
solch monströsen Zyklus im Konzert erleben zu können ist ja eh schon
eindrücklich genug – im Programm stand „ca. 150 Minuten“, Levit liess
sich Zeit und benötigte wohl 15 oder 20 Minuten länger (jedenfalls würde
seine Fassung so nicht auf zwei CDs passen, im Gegensatz zu denen von
Ashkenazy und Rubackyte, die mir vorliegen – leider suchte ich die
kleine Schostakowitsch-Piano/Chamber Works-Box, in der sich die noch nie
angehörte Ashkenazy-Aufnahme findet, gestern Nacht vergeblich, aber die
taucht schon wieder auf). Wie sich die Préludes und die anschliessenden
Fugen vor dem sehenden Ohr entfalten, sich hartnäckig und unaufhaltsam
durch den Quintenzyklus schraubend, wie Levit dabei mit dem Klang des
Flügels umging, wie feingliedrig sein Spiel, wie gekonnt sein Einsatz
der Dynamik (nur selten liess er den Flügel laut schnauben, doch nach
Nr. 24 hatte er ihn endgültig erlegt) – wirklich grossartig!ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-22267301878084641452017-06-03T10:49:00.000+02:002017-08-30T10:50:37.935+02:00Novara Jazz 2017: Louis Moholo, Enrico Rava, Magmatic Quartet et al.Ein paar vorhin schnell geschriebenen Zeilen zu den zwei Konzerten mit <strong>Louis Moholo</strong> (sowie einem dritten, das ich nicht wirklich auf dem Schirm hatte) beim <strong>Novara Jazz</strong>
Festival. Bin gerade aus Italien zurück, wo ich in Novara zweimal
Moholo gehört habe. Danach gab ich mir noch die volle touristische
Dröhnung: vier Tage in Florenz … gegessen wie ein Gott (in Novara das
eine Mal, als ich dazukam, auch) und massenhaft Kunst gesehen, war mal
wieder nötig, war seit fast 20 Jahren nicht mehr dort. Die Konzerte
waren sehr gut, auch wenn das Umfeld mitten in Novara mit rein- und
rumlatschenden Leuten etwas nervig war (kostet keinen Eintritt) und der
Sound gelinde gesagt problematisch war – mehr noch bei der ersten Band,
einem Trio mit Fender Rhodes, Posaune und Drums – der Sound waberte da
nur so durch den „broletto“, die mittelalterliche Platzanlage, eine Art
Hof, die auf allen vier Seiten vor irgendwelchen einstigen
Amtsgebäuden/Rathäusern flankiert wird und zu beiden Seiten auf Gassen
rausgeht.<br />
<br />
Am Abend des 1. Juni spielte <strong>Louis Moholo</strong> im Duo mit <strong>Enrico Rava</strong>,
der – nur als „Rava“ angesagt, der Mann ist ja längst eine Art
Volksheld. Er wird in ein paar Monaten 78 Jahre alt und spielte das
Flügelhorn mit einer beeindruckenden Leichtigkeit. Wie Kenny Wheeler hat
er vielleicht eine Entwicklung hin zum Mainstream durchgemacht, oder
auch nicht – denn auch er passt in alle möglichen Settings. Moholo
spielte seine typischen zickigen Grooves, die immer wieder an
marschmusikartige Rhythmen erinnern, während Rava frei darüber
hinwegflog, sehr melodisch und mit wunderbarem Ton. Es gab Don
Cherry-Momente, Ornette-Momente, in der zweiten Hälfte auch einen
Standard, an dessen Titel ich mich aber schon nicht mehr erinnere. Nach
einer halben Stunde stand Moholo auf, kam nach vorn zu Rava, die beiden
verneigten sich und gingen ab der Bühne … dann sagte wohl jemand zu
Louis, er solle gefälligst nochmal etwas spielen. Es folgte dann nicht
etwa Zugabe sondern gleich nochmal 20 oder 25 Minuten, ein zweites Set
eigentlich, und danach noch eine Zugabe, nachdem der dafür Zuständige
schon wieder den üblichen Muzak-Sound eingeschaltet hatte, der sonst
lief. Alexander Hawkins meinte später im Gespräch, Moholo hätte wirklich
überhaupt kein Zeitgefühl … und kümmert er sich – er ist nur etwa
halbes Jahr jünger als Rava – um seine Medikation vor dem Konzert
(heisst er raucht irgendwas … und Red Bull braucht er obendrein auch
noch). Rava und Moholo reichen weit zurück, sie waren auf der irren Tour
nach Argentinien mit Steve Lacy – und Johnny Dyani als viertem Mann.
Hawkins erzählte ein paar Stories, die er dazu aufgeschnappt hatte, dass
man in Argentinien damals noch kaum Schwarze gesehen hätten und Dyani
und Moholo sich einen Spass daraus gemacht hätten, die Leute zu
erschrecken … nachhören kann man das auf der ESP-Disk‘-Scheibe <a href="http://www.allmusic.com/album/the-forest-and-the-zoo-mw0000095260" rel="nofollow" target="_blank">The Forest and the Zoo</a>
von Steve Lacy. Das Konzert war also ziemlich speziell, doch leider
fiel es mir wegen der Bedingungen etwas schwer, mich richtig zu
konzentrieren (ich war auch völlig hinüber, die Geschichte dazu habe ich
ja bereits im BFT-Thread angetönt, die Flucht – war ja nicht als solche
geplant – nach Italien tat unglaublich gut).<br />
<br />
Am zweiten Abend gab es zum Auftakt eine sehr schöne Überraschung – im Innenhof des Domes spielte ein Trio: <strong>Thomas Stronen</strong> (d, elec), <strong>Marco Colonna</strong> (clars, as), <strong>Alessandro Giachero</strong>
(rhodes, synth, samples) – das war ziemlich magisch, auch dank der
tollen Location (danach hatte ich ca. 20 Mückenstiche … hätte ich mir ja
denken können, wenn man in der Po-Ebene hockt und es 30 Grad warm ist,
aber bis ich auf die Idee kam, was zu kaufen, war es auch egal). Die
ersten paar Minuten hatte ich verpasst (da ich beim dritten Besuch
endlich mal Paniscia novarese essen musste, das traditionelle
ortsübliche Risotto-Rezept – man kocht den Reis in einer Gemüsesuppe,
die schon wenigstens den ganzen Tag auf dem Herd stand, dazu kommt u.a. –
ebenfalls typische – Salami rein … beim vierten Besuch möchte ich dann
gerne endlich mal das Baptisterium sehen, das leider nicht öffentlich
zugänglich zu sein scheint, aber es ist dort, ich habe es auch diesmal
wieder gesehen). Aber gut, Stronen, Colonna und Giachero spielten ein
grossartiges freies Set, das sich zwischen ganz leisen Passagen und
Tänzen (ich musste an die Bergamasca denken, wie ich sie von Trovesi
kenne), zwischen Zirpen und Grooves, zwischen flächigen Samples, durch
mundstücklose Klarinetten geblasene Luft und feinsten Rhythmen bewegte.
Den dreien gelangen immer wieder faszinierende Bögen und sie waren auch
selbst sichtlich erfreut über das Ergebnis.<br />
<br />
Danach ging es wieder rüber in den „broletto“, wo <strong>Louis Moholo</strong> mit einer Gruppe auftrat, die es so noch nicht gab, im Programm nannte man sie das <strong>Magmatic Quartet</strong>.
Neben dem Meister am Schlagzeug (er trug den Juve-Schal nicht mehr, den
ihm Riccardo Bergerone am Vorabend schenkte – war das prophetisch?)
standen zwei Flügel auf der Bühne, am rechten nahm <strong>Alexander Hawkins</strong> Platz, hinter dem linken sass <strong>Giovanni Guidi</strong>, in der Mitte war ein Mikro für den Posaunisten <strong>Gianluca Petrella</strong>
aufgestellt. Ich hatte schon am Vortag mit Hawkins geredet (der am 31.
Mai schon einen Auftritt in Locarno im Tessin hatte, der auch von Novara
Jazz organisiert wurde, er spielte dort im Duo mit dem Trompeter
Gabriele Mittelli, das konnte ich leider nicht auch noch einrichten).
Hawkins meinte, er hätte keine Ahnung, wie das rauskommen würde. Die
Klaviere waren leider schrecklich, kein „bottom“, zudem war auch wieder
alles sehr laut verstärkt, aber alles in allem halbwegs okay vom Sound
her. Riccardo (der ja immer da ist, wenn Moholo spielt, er tauchte auch
für den einen Abend beim Intakt in London-Festival auf, ein echter
Groupie) meinte am Vortag, Alex solle den anderen doch ein paar der
einfacheren Moholo/Blue Notes/Brotherhood-Klassiker beibringen, aber von
einem kurzen Soundcheck abgesehen (bei dem Hawkins was von Chopin aus
dem Gedächtnis zu spielen versuchte und Guidi ihm dann noch ein wenig
half) gab es natürlich keine Probe und das Quartett ging gänzlich
unvorbereitet auf die Bühne. Das war aber die beste Idee, denn das
Konzert gelang. Hawkins kitzelte aus Moholo all das heraus, was Irène
Schweizer neulich in London nicht schaffte (und wozu Moholo auch bei
Rava keine Lust hatte, aber das war in dem Duo einfach egal, denn Rava
nahm, was da war und es passte bestens). Hawkins spielte immer wieder
massige Grooves und lockte Moholo so richtig aus der Reserve. Guidi ging
daneben ab und zu etwas unter, weil Hawkins halt wirklich auf den
Flügel hämmerte, wobei auch schon mal die Ellbogen zum Einsatz kamen –
was aber in zweierlei Hinsicht angebracht war: eben weil es das ist,
womit man Moholo aktivieren kann, und auch weil es den lausigen Klang
des Instruments etwas vergessen machte … Guidi hat einen viel feineren
Anschlag, spielt überhaupt feiner und weniger voluminös. Das Konzept war
dann eben, dass Hawkins Moholo die Bälle zuspielte, während Guidi das
alles frei kommentierte und Petrella je nach Lust und Laune dazustiess
oder auch darüber abhob … am Ende ein sehr tolles Set, gar keine Frage!ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-38052995481106296972017-05-31T10:54:00.000+02:002017-08-30T10:55:25.707+02:00Prokofjew: Der feurige Engel (Stundyte; Noseda; Bieito) - Opernhaus Zürich, 31. Mai 2017Musikalische Leitung: Gianandrea Noseda<br />
Inszenierung: Calixto Bieito<br />
Bühne: Rebecca Ringst<br />
Kostüme: Ingo Krügler<br />
Lichtgestaltung: Franck Evin<br />
Video-Design: Sarah Derendinger<br />
Choreinstudierung: Jürg Hämmerli<br />
Dramaturgie: Beate Breidenbach<br />
<br />
Renata: Ausrine Stundyte<br />
Ruprecht: Leigh Melrose<br />
Die Wirtin: Liliana Nikiteanu<br />
Mephistopheles, Agrippa von Nettesheim: Dmitry Golovnin<br />
Wahrsagerin, Äbtissin: Agnieszka Rehlis<br />
Inquisitor: Pavel Daniluk<br />
Faust: Stanislav Vorobyov<br />
Jakob Glock, Arzt: Iain Milne<br />
Mathias Wissmann, Der Wirt: Andrzej Filonczyk<br />
Knecht: Dimitri Pkhaladze<br />
Zwei Nonnen: Soyoung Lee, Deniz Uzun<br />
Graf Heinrich / Der Vater: Ernst Alisch<br />
Sechs Schwestern: Julie Bartholomew, Caroline Fuss, Verena Hasselmann, Rosa Maria Hernandez, Laura Missuray, Hao Zhang<br />
<br />
Philharmonia Zürich<br />
Chor der Oper Zürich<br />
<br />
<a href="http://www.opernhaus.ch/vorstellung/detail/der-feurige-engel-07-05-2017-18710/" rel="nofollow" target="_blank">http://www.opernhaus.ch/vorstellung/detail/der-feurige-engel-07-05-2017-18710/</a><br />
<br />
Gerade aus der Vorstellung zurück … keine Ahnung, was ich davon
insgesamt wirklich halten soll. Den einen habe ich es ja schon erzählt,
krasse drei Tage hinter mir, in die Oper hätte ich nicht auch noch
müssen, kämpfte leider auch immer wieder gegen den Schlaf. Da kann aber
das Stück schon auch einiges dafür, denn damit lässt sich wohl kaum
Theater machen, Bieito ist diesbezüglich jedenfalls trotz alles in allem
völlig okayer Inszenierung gescheitert – was mir aber auch recht egal
ist, wenn die musikalische Seite passt. Und das tat sie zweifellos!
Einerseits ist da das Stück an sich, massig, laut, dissonant, enorm
faszinierend, mit einer halsbrecherischen Hauptrolle, die Ausrine
Stundyte wirklich souverän sang (Leigh Melrose als Ruprecht war nicht
viel weniger gefordert), dann war da das für Opernverhältnisse sehr
gross besetzte Orchester unter Noseda – und auch das erstklassig. Dass
die Oper in zwei Stunden ohne Pause durchgespielt wurde, fand ich
grossartig, das sollte man viel öfter machen, ich würde das wohl wie bei
vernünftigen Kinos halten, bis 140 oder 150 Minuten macht man durch
(aber die alten Leute, ich weiss, ich weiss … und die Einnahmen durch
den Verkauf überteuerter Getränke fallen obendrein auch noch weg, die
wohl im grossen Ganzen keine Rolle spielen, aber dennoch …<br />
<br />
Mehr zur Inszenierung berichtete die NZZ vor ein paar Wochen nach der Premiere:<br />
<a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/erstmals-am-opernhaus-zuerich-der-feurige-engel-von-sergei-prokofjew-lichtgestalt-und-kinderschaender-ld.1291415" rel="nofollow" target="_blank">https://www.nzz.ch/feuilleton/erstmals-am-opernhaus-zuerich-der-feurige-engel-von-sergei-prokofjew-lichtgestalt-und-kinderschaender-ld.1291415</a><br />
<br />
Eine schlüssige Regie kann man da wohl erkennen, die Drehbühne mit
mehreren Etagen und verschiedenen Räumen, offenen wie
klaustrophobischen, war nett anzusehen, das Lichtdesign auch ziemlich
toll, die Atmosphäre als Ganzes durchaus stimmig … aber das Stück bleibt
nach meinem Empfinden doch eine Erzählung, da ist fast nur Statik,
Tableau nach Tableau, dass sich etwas dreht und die Nebenrollen sich auf
den Ebenen hoch und runter und durch Türen und um Säulen bewegen
suggerierte nur eine Richtung, die es als Faktum auf der Bühne eben doch
nicht gab.<br />
<br />
Aber gut, allein der Musik wegen lohnenswert, gar keine Frage.<br />
<br />
Da dies meine allererste Begegnung mit einer Oper von Prokofiev war,
die Frage: was gibt es für Aufnahmen, die man sich gönnen müsste? Ich
habe keine einzige Einspielung im Regal, ob man’s glaubt oder nicht.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-89481007152888660992017-05-27T14:28:00.000+02:002017-05-27T14:28:40.679+02:00Verdi: Macbeth (Jenis, Serjan; Noseda; Kosky) - Opernhaus Zürich, 26. Mai 2017<b>Giuseppe Verdi: Macbeth</b><br />
<br />
Musikalische Leitung: <b>Gianandrea Noseda</b><br />
Inszenierung: <b>Barrie Kosky</b><br />
Bühne und Lichtgestaltung: Klaus Grünberg<br />
Bühnenbildmitarbeit: Anne Kuhn<br />
Kostüme: Klaus Bruns<br />
Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger<br />
Dramaturgie: Claus Spahn<br />
<br />
Macbeth: Dalibor Jenis<br />
Banco: Wenwei Zhang<br />
Lady Macbeth: Tatiana Serjan<br />
Kammerfrau der Lady Macbeth: Hamida Kristoffersen<br />
Macduff: Joshua Guerrero<br />
Malcolm: Otar Jorjikia<br />
Arzt: Reinhard Mayr<br />
Diener Macbeths, Mörder: Timm de Jong<br />
Drei Erscheinungen: Astrid Hänggi, Linda Carmen Schmid, Mamuka Tepnadze<br />
<br />
Philharmonia Zürich<br />
Chor der Oper Zürich<br />
Zusatzchor der Oper Zürich<br />
SoprAlti der Oper Zürich<br />
Statistenverein am Opernhaus Zürich<br />
<br />
—<br />
<br />
Gestern die letzte Aufführung der Wiederaufnahme des „Macbeth“, der in er letzten Saison unter Teodor Currentzis zur Aufführung kam (ich wollte schon damals hin). Eine grossartige Inszenierung mit minimalistischem Bühnenbild, einer Art Tunnel aus Lichtern im Schwarz der tiefen Bühne, leicht ansteigend und sich nach hinten verengend. Dazu zwei Stühle, ein paar Tote und ein paar „lebende“ Raben und zwei Dutzend mehr oder minder nackte Statist_innen. Regisseur Barrie Kosky deutet das Drama psychologisch, die Hexen und Geister entspringen der Einbildung des mordlüsternen Paares und erklingen folgerichtig aus dem Off. Es gibt zum Glück keine politische Deutung, die Chorszene – sollte sie an den Erfolg des Gefangenenchores aus „Nabucco“ anknüpfen? – bleibt recht farblos und musikalisch eine der am wenigsten prägnanten Szenen. Das liegt aber nicht am Orchester oder an Maestro Gianandrea Noseda. Das Orchester beweist nämlich einmal mehr, dass es mit italienischer Oper perfekt umzugehen weiss, nur mit dem Chor gibt es da und dort ein paar Koordinationsprobleme – kein wunder, ist dieser doch meist unsichtbar entweder im Schwarz am Bühnenrand oder auf den ganzen Raum verteilt, auch hinter dem Publikum, was zu sehr tollen Effekten führt – und nebenbei dazu, dass man nicht weiss, woher diese Stimmen kommen, die man da hört, ganz wie Macbeth mit seinen Geistern.<br />
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Tatiana Serjan und Dalibor Jenis sind als mordendes Königspaar grossartig, sie wissen auch mit dem kargen Set bestens umzugehen – Handlung gibt es praktisch nicht, da eben vieles als Projektion, als Wahn inszeniert wird bzw. auch einfach offen – und: buchstäblich – in den Raum gestellt wird. Die Musik findet dafür umso mehr statt, man fokussiert ganz auf sie, und die Effekte, die Verdi ansteuert, besonders in den ersten beiden Akten, sind manchmal sehr überraschend. Szene für Szene ist die ganze Oper sehr nuanciert aufgebaut, und wenn am Ende eine Fuge erklingt, hört man den Meister über dem düsteren Totentanz aus dem Off lachen. Oder war das auch wieder nur eine Stimme in meinem Kopf?<br />
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Die zweite Hälfte fand ich insgesamt etwas schwächer, allerdings bewältigte Serjan die Wahnsinnsszene auf sehr beeindruckende Weise. Den Chor, wie gesagt, hätte es nicht gebraucht – ich habe mich sogar gefragt, ob man das Stück nicht umschreiben könnte, indem man die ganze Szene einfach streicht, das Werk auf zwei Stunden rafft und ohne Pause durchspielt. Das könnte durchaus die Wirkung einer guten Inszenierung z.B. von Strauss‘ „Elektra“ entfalten und gerade in dieser düsteren Nacht-Inszenierung ist die Beklemmung gross – und verfliegt in der Pause schon völlig, kann danach nicht nahtlos fortgesetzt werden und wird von der Chor-Szene mit ihrem albern scheinenden Pathos dann nochmal aufgehalten.<br />
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Aber gut, am Ende bleibt diese Inszenierung ein Ereignis, keine Frage!ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-14907171307938781062017-05-20T14:08:00.000+02:002017-05-27T14:09:32.022+02:00Nils Wogram "Root 70" – Zürich, Rote Fabrik, 19. Mai 2017Freitagabend gab es wieder einmal ein Jazzkonzert in der Roten Fabrik – leider hat die Kadenz in den letzten Jahren ziemlich abgenommen. Eine schöne Überraschung gab es schon beim Eintreten in den Clubraum: vor der eigentlichen Bühne war mit niedrigen Podesten eine improvisierte Bühne aufgebaut worden, von einem kleinen Bass-Verstärker abgesehen weit und breit keine Elektronik. Wogram meinte denn später auch, dass er in kleineren Räumen am liebsten unverstärkt spielt.<br />
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Das Line-Up der Band, die schon seit vielen Jahren zusammenspielt, ist: Nils Wogram, tb, melodica; Hayden Chisholm, as; Matt Penman, b; Jochen Rückert, d. Das Material stammte vornehmlich vom neusten Tonträger des Quartetts, „Luxury Habits“, den es danach neben anderen älteren CDs der Gruppe auch käuflich zu erwerben gab (ich kaufte noch zwei weitere Alben und erhielt – eine Art Abschiedsgeschenk für einen Stammkunden wohl – ein Exemplar der Matthew Shipp-Solo-CD auf hatOLOGY geschenkt, die letztes Jahr am Taktlos aufgenommen wurde – auf das Wiederhören bin ich gespannt).<br />
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Wogram hatte ich schon ein paar Male – zu selten, aber dennoch – im Konzert gesehen und wusste in etwa, was mich erwarten würde, doch Chisholm erlebte ich zum ersten Mal und war nach der Vorarbeit eines Freundes, der mir seine Musik schon seit längerem ans Herz legt, enorm gespannt. Wahnsinn, sein Ton! Ein Paul-Desmond-Mann, aber natürlich ganz ohne dessen stilistische Scheuklappen, völlig offen, manchmal dachte ich auch rasch an Lee Konitz (wenn Chisholm den Ton mal etwas spröder werden liess) oder an Michael Moore, den anderen jüngeren Altsaxer, der einen ähnlichen, ebenso sehr eigenständigen und sehr lyrischen Stil geschaffen hat. Die Musik des Quartetts schien mir zunächst etwas überkomplex, die Jungs hatten Notenständer dabei und brauchten die Noten auch wirklich, um ihre vertrackten Musik mit sprunghaften Linien und zickigen Rhythmen spielen zu können. Doch nach ein, zwei Stücken wich die Spannung und es wurde klar, wie vertraut die vier miteinander sind, wie blind sie sich aufeinander verlassen können, auch in den schwierigsten Momenten. Nach einem erfolgreich zu Ende gebrachten Stück im schnellen 7/8 atmeten die vier allerdings hörbar auf – sie hatten wohl Angst, die Themenreprise könnte am Ende doch noch in die Hose gehen.<br />
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Die Soli waren so konzis wie die Stücke selbst, oft kurz gehalten, durchaus anspruchsvoll, aber besonders von Chisholm mit einer beeindruckenden Nonchalance abgeliefert. Der Mann spielte mit dem betörendsten Ton die unglaublichsten Linien – und wirkte dabei fast ein wenig desinteressiert. Wogram sang in seine Posaune, spielte auch einmal ein langes Solo-Intro, das Albert Mangelsdorff zur Ehre gereicht hätte, es gab Vierteltöne, feine Dissonanzen, die aber stets aufgefangen und eingebunden wurden in das dichte Geflecht. Matt Penman am Bass war wohl eher noch der Anker als Rückert, der zwar nie laut wurde, aber kein Problem damit hatte, auch im unverstärkten Rahmen sehr abwechslungsreich zu spielen – ohne dass man je das Gefühl hatte, er müsse sich im Zaum halten. Vor dem letzten Stück des zweiten Sets las Chisholm die drei letzten der Sonnette aus dem Booklet der aktuellen CD (Ahmad Shabo hat für jedes der neun Stücke eines geschrieben). Das Publikum – in dem wohl einige Freunde Wograms sassen, er lebt ja schon länger in der Gegend – liess die vier nicht ohne eine Zugabe gehen, und so spielten sie den launigen „Rusty Bagpipe Boogie“ (zu finden auf der Blues-CD „Listen to Your Woman“, die ich ebenfalls gekauft habe, als dritte gab es noch „Wise Men Can Be Wrong“, ein Standards-Programm).ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-8062700126753220964.post-52106526765587693502017-05-19T14:20:00.000+02:002017-05-27T15:27:09.865+02:00Haydn: Orlando Paladino – Opernhaus Zürich, 18. Mai 2017 (Minasi, Mijnssen)<b>ORLANDO PALADINO</b><br />
<b>Oper von Joseph Haydn</b><br />
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Musikalische Leitung: <b>Riccardo Minasi</b><br />
Inszenierung: <b>Jetske Mijnssen</b><br />
Bühne: Ben Baur<br />
Kostüme: Joki Tewes, Jana Findeklee<br />
Lichtgestaltung: Hans-Rudolf Kunz<br />
Dramaturgie: Fabio Dietsche<br />
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Angelica: Jane Archibald<br />
Rodomonte: Ruben Drole<br />
Orlando: Michael Spyres<br />
Medor: Mauro Peter<br />
Licone: Martin Zysset<br />
Eurilla: Mélissa Petit<br />
Pasquale: Juan Sancho<br />
Alcina: Anna Goryachova<br />
Charon: Ildo Song<br />
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Angelica (Schauspiel): Meret Bodamer<br />
Orlando (Schauspiel): Felix Gaiser<br />
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Statistenverein am Opernhaus Zürich<br />
Musikkollegium Winterthur<br />
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Die Aufführung einer Haydn-Oper konnte ich mir nicht entgehen lassen – aber wie bei der diesjährigen Winterthurer-Produktion besuchte ich erst die Wiederaufnahme am Opernhaus Zürich. Dass Riccardo Minasi am Pult stehen würde, machte mich zusätzlich neugierig, auch wenn das Ensemble – leider – auf modernen Instrumenten spielte. Es gab aber auch ein Continuo-Gruppe mit Cello, Cembalo und Laute/Barockgitarre und nachdem die Probleme mit der Balance nach einigen Minuten geklärt waren (es handelte sich erst um die zweite Aufführung der kurzen Wiederaufnahme), passte das Zusammenspiel von Stimmen und Orchester eigentlich sehr gut.<br />
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Die Inszenierung fand ich nicht ganz so flach, wie die NZZ-Kritik letztes Jahr befand:<br />
<a href="https://www.nzz.ch/feuilleton/musik/haydns-orlando-paladino-in-winterthur-und-ewig-dreht-sich-das-liebeskarussell-ld.81979">https://www.nzz.ch/feuilleton/musik/haydns-orlando-paladino-in-winterthur-und-ewig-dreht-sich-das-liebeskarussell-ld.81979</a><br />
Dass damals Claire de Sévigné die Angelica sang, hätte mir noch nichts bedeutet, aber nachdem ich sie ein paar Male gehört habe, fand ich es doch schade, dass sie nicht wieder dabei war. Sie und ihr Medoro bei der Erstaufführung, Spencer Lang, gaben neulich Blonde und Pedrillo in Mozarts Serail – diese Kontinuität gerade auch mit jungen Sänger_innen finde ich sehr löblich. Zumal, wenn sie allesamt so gut sind wie jene, die im „Orlando“ derzeit zu hören sind. Mauro Peter scheint ein aufsteigender Stern am Opernhimmel zu sein, Ruben Drole ist in Zürich ebenfalls ein vertrautes Gesicht, und auch Mélissa Petit sehe ich gerne. Jane Archibald als Angelica war grosse Klasse, dass Sévigné nicht dabei war, war demnach leicht verschmerzbar. Überhaupt überzeugte das Ensemble auf der Bühne – das mit seinen acht Stimmen, die im dritten Akt um Charon ergänzt wurden, zugleich da und dort als Chor herhalten musste.<br />
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Die Oper selbst gefiel mir ebenfalls ganz hervorragend – da klingt manches schon an, was Mozart z.B. im „Figaro“ perfektionieren würde (die grossartigen Ensemble-Szenen, mit denen jeder Akt endet), vor allem aber ist da ein endloses Reservoir an betörenden Melodien zu hören, die gekonnt zwischen den Stimmen hin- und hergereicht werden, da und dort in Duette oder Ensembles übergehen. Dass jede Figur ihren grossen Auftritt hat, das ganze Stück deutlich stärkeren Ensemble-Charakter hat als in der Oper im allgemeinen üblich, gefiel mir ebenfalls sehr gut. Aber das Haus war wohl bestenfalls halb voll (im Parkett dichter, auf den Rängen weniger dicht besetzt), mir erlaubte das, von Beginn auf einem besseren Platz zu sitzen (ich bin gerne ganz oben und an der Seite, gucke auch oft ins Orchester, erste Reihe da ist aber schon besser als zweite), aber schade ist das natürlich trotzdem, Haydns Opern werden so kaum noch ihren Weg ins Repertoire finden.ubuhttp://www.blogger.com/profile/14345046048548176058noreply@blogger.com0